Die Anderen — Klaus Karlbauer
zurück.Das Andere beginnt bei einem selbst, manchmal auch draußen vor der Tür. Am Anfang war ein Bild. „Ich bin das Volk“ steht in roten Lettern über den Körper des Künstlers geschrieben, als Rückstand einer anderen Krise, die sich wiederholt. Eine Winterreise, drei Protagonist:innen, verdrehte Konstanten. Vom Irgendwo ins Nirgendwo oder umgekehrt. Die installative Arbeit „Die Anderen“ des Komponisten und Multimediakünstlers Klaus Karlbauer ist die räumliche wie performative Reflexion einer Winterreise in das Fremde, Unbekannte und Ungeplante, in all ihren Verzweigungen, innerlich wie äußerlich. Als Ausgangspunkt der multimedial erzählten Installation dient eine Begegnung, die vor einer Haustür endete und in Sălătrucu in Rumänien begann. Die Protagonist*innen: Cornel und Gratiela, ein junges Roma-Paar am Heimweg.
Eine Reise jenseits der Worte, Google Translate als Vermittler. Im Zentrum dieser Auseinandersetzung steht das Durchlaufen, das Vermengen und Überwinden konträrer Wirklichkeiten und Realitäten. Eine Erfahrung, die das Eigene ins Fremde überträgt, vermeintliche Konstanten zum Kippen und schließlich zu Fall bringt. Drüben hinterm Dorfe steht nun ein Künstler. Jeder mag ihn hören. Jeder sieht ihn an. Die Blicke der Reise zum Jahreswechsel 2018/19, die radikal subjektiven Erfahrungen, in Form eines Logbuches zusammengehalten, festgeschrieben, dienen als literarische Grundlage für die multimedial agierende Installation in der Burgkapelle des MMKK. Zentrales Thema von „Die Anderen“ ist die Frage nach dem Verhältnis vom ICH zu DEN ANDEREN. Die Begegnung mit den rumänischen Roma steht stellvertretend für unseren Umgang mit DEN ANDEREN. Im Zentrum der barocken Burgkapelle eine schäbige Holzhütte. Im Inneren visuelle Rückstände an den Wänden.
Gekritzeltes, Gesammeltes, Vergessenes. Assoziationsketten fallen in den Raum. Die historische Raumhülle verwächst mit den neuen Narrativen. Eine lose Ytong-Wand weckt Gedanken an archäologische Ausgrabungen. Physische Manifestation der Vergänglichkeit. Bruchstellen zwischen Heimat und Flucht, Traum und Albtraum: „Über jeder Hütte schwebt ein Traum. Jede Hütte träumt von einem Haus. Hinter jedem verlassenen Haus steht eine Tragödie.“ Die Geschichten überschreiben sich, auch hier. In der Videoprojektion versammeln sich die Bilder dieser Reise in die Fremde. Collagenhaft werden die subjektiven Eindrücke des Künstlers verdichtet. Die Soundebene begleitet und ergänzt die Bilder in Form von Field Recordings, Gefundenem, Gesprochenem sowie sakralen Drone-Akkorden, lässt dabei ein dichtes Netz an Dialogen entstehen. Ein Verhandlungsraum. Es geht um die Performativität von Begegnung, das „sich Aussetzen“ in einer Situation ohne Perspektive, jenseits von sprachlichen Diskursen und theoretischen Festschreibungen.
Die Gegenwart überwindet die Sprache. Der Künstler wird zum Feedbacksystem. Ich wird ein anderer. „Plötzlich bin ich „Der Andere“, der nichts versteht, die Sprache nicht beherrscht, mit den Sitten und Bräuchen nicht vertraut ist, der die Codes weder lesen noch deuten kann. Plötzlich muss ich in den Überlebensmodus wechseln, um nicht unterzugehen, um nicht verschüttet zu werden von der Flut an Eindrücken, auf die ich in keiner Weise vorbereitet bin. Ich bin weder Anthropologe noch Ethnologe, noch Politikwissenschaftler, noch ein Kreuzritter der Political Correctness, ich bin hier, weil ich den beiden helfen wollte, und weil ich von zu Hause flüchten wollte.“ Der Begriff des „Othering” wurde ursprünglich von Gayatri Chakravorty Spivak (1985) etabliert und in weiteren postkolonialen Diskursen geprägt und beschreibt in diesem Zusammenhang einen Prozess der Grenzziehung, in dem Unbekanntes als „Das Andere“ konstruiert und gedacht wird und damit in klarer Dichotomie zu einer Konstruktion des „Wir“ steht. „Das Andere” wird dabei mit „dem Fremden“ gleichgesetzt und verurteilt. Othering als transformatives Moment ist in der Auseinandersetzung von Klaus Karlbauer zentral, dabei werden diese Festschreibungen durchlaufen und schließlich vollends ins Gegenteil verkehrt. Das vermeintliche Wir wird zum Fremden, das Andere zum Ich, als unbestimmtes Hin und Her, jenseits von normativen Konstanten. Unter dem plakativen Schriftzug „Ich bin das Volk“ versammeln sich die Anderen, ganz ohne es zu wissen, während beim Friseurbesuch in Rumänien der Künstler selbst zum Anderen übergeht. Am Ende wurde das Bild zum Abbild des Anderen und umgekehrt. „Nun sehe ich aus wie jemand, der ich nicht sein möchte, der ich auf keinen Fall sein möchte. Ich sehe aus wie der, der denen, die mich hier so gastfreundlich aufgenommen haben und alles für mich tun, die Lebensberechtigung absprach und den Worten entsprechende Taten folgen ließ.“