Der Default Tree am Ende der Zeit

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Notizen zur Installation Terminal Beach von Troika im MAK Wien

An den Enden der Zeit, an den Kanten kurz vor Absprung, befindet man sich am Terminal Beach. Ein Ort ohne uns und ohne euch. Irgendwann nach dem Aussterben. Nach: Game over. Too late, nach dem End-Game. Dort steht ein Baum, der letzte seiner Art. Biblisch. Artifiziell. Täter und Opfer gefangen – in-between. Am Terminal Beach ist auch die Zeit gestorben. Im Dazwischen stehengeblieben. Sie drängt nicht mehr, vergeht nicht mehr, läuft nicht mehr ab. Frozen Time. Die Landschaft wurde zu einer Ruine ohne sichtbaren Verfall. Ein Baum wächst aus dem letzten Rest, durch ein Raster platziert. Ein Roboterarm ist mit Fell verkleidet, mit einer Axt schlägt er auf den Baum ein, immer wieder. Der Versuch, den letzten Baum zu Fall zu bringen. Das archaisch anmutende Fell bedeckt die glatten Oberflächen des Täters. Die Bewegungen sind angelehnt an industrielle Fließbandmaschinen. Rundherum befindet man sich in empty lands. Ein Ort, an dem es weder Geschichte noch Zukunft geben wird, ohne alle Spuren, was hier passiert sein könnte. Es sind Andeutungen von etwas, das es schon einmal gab. Ruinen ohne Geister. Landschaften ohne Ursprung, nur noch Konturen, Hinweise und Umrisse. Ein Baum und ein Roboter werden hier in einem Finale gegenübergestellt; die virtuelle und materielle Welt vereint, in einem Bild, einem Verhältnis.

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Terminal Beach (2020) ist eine im Rahmen der Klima Biennale Wien für das MAK konzipierte Rauminstallation des Kollektivs Troika, dessen erste Einzelausstellung in Österreich. Troika wurde 2003 von Eva Rucki, Conny Freyer und Sebastien Noel gegründet und ist in London ansässig. Seine Arbeiten beschäftigen sich medienübergreifend mit dem Ineinanderfallen und Interagieren von neuen Technologien, ihrer Wechselwirkung mit Natur und Kultur. Terminal Beach handelt von der Anpassung von Lebewesen an den Klimawandel und dessen neuen Landschaften, zugleich geht es um das digitale Nachleben von Mythen und Geschichten. Der Titel Terminal Beach ist angelehnt an J. G. Ballards Sammlung von Science-Fiction-Kurzgeschichten aus 1964, worin sich inhaltliche Parallelen wiederfinden.

Ghosts remind us that we live in an impossible present – a time of rapture, a world haunted with the threat of extinction. Deep histories tumble in unruly graves that are bulldozed into gardens progress. [1]

Im Zentrum der MAK-Installation steht eine LED-Wall, auf der sich eine Szene wiederholt, solange, bis man sie nicht mehr aus dem Kopf kriegt. Die Schläge brennen sich in die Netzhaut. Über den Boden erstreckt sich ein Wasserbecken. Die Oberfläche ist ruhig, etwas später wird sich diese an manchen Stellen in Bewegung setzen. Die Landschaft, die dieses Bild umgibt, ist karg, der Boden trägt keine Früchte mehr, die Erde ist freigelegt, offengelegt wie eine Wunde. Auch die Rückseite des LED-Screens liegt frei, kann umgangen werden. Unter der Haut und den Halluzinationen verbirgt sich vor allem Plastik. Dieser Baum wird nie fallen. Die Gewalt der Wiederholung formt sich zu einem Rhythmus, wie ein Ticken, das die Raumzeit strukturiert. Es ist ein Spiel zwischen einer non-humanen Intelligenz und einer vermeintlich natürlichen Entität.
Am Terminal Beach wurden die Ursprünge aber umgekehrt. Die Figur des Baums stammt aus einem digitalen Archiv, während der Roboterarm von Troika mit Motion Capture trainiert und in geloopte Bewegungen versetzt wurde. Der Baum ist ein default tree, der „Standardbaum“ unter den Bäumen in den virtuellen Tree Librarys, die für Raumplanungen genutzt werden. Der Sound, der den performativen Akt begleitet, basiert auf Aufnahmen von Radiowellen des British Antarctic Survey, erzeugt durch Blitze und geomagnetische Stürme. In Terminal Beach erinnert diese Geophonie mehr an ein „Nature ASMR“ auf YouTube als an seinen tatsächlichen Ursprung. Das Eine trainiert hier das Andere. Der Einsatz des default tree erinnert vom Motiv her an eine andere Arbeit von Troika mit dem Titel Third Nature, die als lebende Skulptur an der Cambridge University installiert wurde. Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Einsatz von digitalen Tools bzw. ökologischen Simulakren in der Landschaftsplanung und virtuellen Materialarchiven: 15 heimische und nicht-heimische Bäume wurden deshalb im typischen Gittermuster gepflanzt, dessen Darstellung üblicherweise mit virtueller Landschaftssoftware assoziiert wird – eine Adaption der Sprache digitaler Baumbibliotheken und Übersetzung in den physischen Raum.
Der letzte Baum wird nie fallen – ein Prozess, den man in Terminal Beach aus unterschiedlichsten Perspektiven verfolgen kann: der einer Drohne, einer Kamera, des Täters und des Opfers. Im Wechsel und Gegenschnitt. Jede Perspektive sieht anders auf das, was hier passiert. Von oben herab, von innen heraus. Die Ausschnitte changieren zwischen hyperreal und verzerrt. Vier Minuten als Loop: kein Anfang, kein Ende, kein Ausgang. Die Umrisse einer unmöglichen Landschaft setzen sich langsam zusammen. Der Ort entsteht aus Spiegelungen und Fusionen. Diese Animation handelt vom Verletzen ohne Konsequenzen, von Stillstand, vom Dazwischen: zwischen „alles verloren“ und „noch einmal von vorne“. Diese Landschaft kann nicht handeln. In dieser Version hat sie keine Geschichte. Eine second nature, eine Nebenlandschaft, ohne Versuchung und Konsequenzen.

Das Bild der Videosequenz fängt und spiegelt sich in der Wasseroberfläche. Himmel und Erde, Himmel und Hölle, überflutete Landschaften. Das Video geht in den Ausstellungsraum über, übertritt die eigene Schwelle. Auch hier ist das natürliche Leben vergangen, ein Ort, der von hauntings und ghosts durchzogen sein könnte – demjenigen, was im Terminal Beach fehlt. Auf der glatten Oberfläche haben sich neue Spezies geformt. Grenzgänger. Es sind Wächter der Übergänge und Pforten. Mythische Figuren, die an das erinnern, was vergessen wurde. Ihre Blicke sind abgewendet. Sie blicken gemeinsam zurück auf die empty lands auf dem Screen. Als Ursprung der skulpturalen Hybride dienen digitalisierte Objekte aus Museumssammlungen: Spuren oder Rückstände, die Fragmente zu neuen Körpern werden lassen. Durch 3D-Druck entstehen die Wächter, etwa die Heron Sphinx, als dreidimensionale Collagen. Diese basiert auf einer Kombination des Wachsmodells einer Sphinx mit dem Bronzeguss eines Reihers mit Nashornkäfer. Diese digitalen Zwillinge von Archiv-Objekten werden so zu einem pattern of living and dying. Sie verkörpern einerseits die Möglichkeit einer digitalisierten Erinnerung, andererseits die Geister von kulturellen Mythen in Form von Rekombinationen.

The winds of the Anthropocene carry ghosts – the vestiges and signs of past ways of life still charged in the present.“ [2]

Der Wind weht hier in eine andere Richtung. Die Landschaft des Terminal Beach ist lost in-between, und trotzdem führt ein Weg hinaus. Die Grenzgänger sind in einer räumlichen Fluchtbewegung angeordnet, sodass man eine Richtung erkennen kann. Hinaus. Im Raum wechseln die Farben im Takt der Verletzung. Manchmal setzt sich das Wasser in Bewegung, manchmal fällt das Licht aus, es folgt ein kurzes Blackout. Im Dunklen lassen sich die Fluchtlinien noch klarer nachzeichnen, und man sucht auch hier den Ausweg aus dem Ganzen.

Troika – Terminal Beach, MAK Wien, 1. Mai bis 11. August 2024

(Erschien in springerin Heft 2/2024 Kulturkämpfe)


  1. Anna Tsing et al. (Hg.), Arts of Living on a Damaged Planet: Ghosts and Monsters of the Anthropocene. University of Minnesota Press 2017. ↩︎

  2. Ebd. ↩︎