Manuelle und numerische Muster. Zur Praxis der Künstlerin Olena Newkryta

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Manuelle und numerische Muster
Zur Praxis der Künstlerin Olena Newkryta

Ein Ausschnitt aus einem wiederholten Muster. Die Bewegungen werden zu Nummern, zu Gedanken, und strukturieren die Zeit. Up, down. No beginning, no end. Ein Netz von Fäden, das sich dreht und wendet: auf und ab, hin und her. Verschiedene Muster treten in Interaktion, wechseln sich ab und werfen unsichtbare Falten, in denen sich Wissen überlagert. Gesten sind hier nicht nur Gesten.

All dies offenbart ein Blick auf die Praxis der Künstlerin, Filmemacherin und Kuratorin Olena Newkryta (1990, Ukraine), die kürzlich den Outstanding Artist Award in der Sparte Medienkunst erhielt. Olena studierte an der Universität für angewandte Kunst Wien sowie an der Gerrit Rietveld Akademie in Amsterdam und ist Mitglied der Golden Pixel Cooperative. Derzeit nimmt sie am Artist-in-Residence-Programm der Jan van Eyck Academie (NL) teil.Die Foto- und Videoarbeiten bzw. Installationen der Künstlerin beschäftigen sich, auf Recherchen basierend, mit den Verhältnissen zwischen Sichtbarkeit und Verborgenem in automatisierten technologischen Prozessen und deren Auswirkungen auf Menschen und Umwelt. Mittels Gesten werden Zusammenhänge zwischen digitalen Interfaces und ihren Nutzerinnen hergestellt. Die Spur, das Muster und das Abbild sind dabei wiederkehrende Themen. In früheren Arbeiten fanden sich diese vor allem in Form von Licht als Abdruck bzw. Kontakt mit Fotomaterial, als Rückstand, als Kontur einer Berührung des physischen Körpers. Es ging dabei auch um ein Verweben von Denkmustern und Disziplinen, deren Organisation sich über digitale Strukturen und physische Körper erstreckt. Um Nadeln, Abläufe, Muster und Grids: automatisierte Bewegungen – verborgene Zusammenhänge. Weben als „swipen“, wobei sich die Erscheinungsformen verändert haben: Was irgendwann Handgriffe an einem Webstuhl erfolgtewaren, sind heute leere Bewegungen in der Luft, Rückstände der Automatisierung im luftleeren Raum. Die Kamera blickt auf einen Screen: eine Hand beim Scrollen – horizontal und vertikal – über ein textiles Gewebe hinweg. In dem Video-Essay Patterns Against Workers (2023) geht es um den Zusammenhang von politischen, ökonomischen und technologischen Kräften, die sich hinter den Abläufen und Mustern der maschinellen Textilproduktion verbergen. Es ist eine Erzählung über Prozesse der Automatisierung, die jenseits der Fabriken in den Körpern und Gedanken der Arbeiterinnen nachwirken. Das numerische Denken, das irgendwann noch die Form eines Textils errechnete, dient inzwischen dazu, Algorithmen und Maschinen zu entwickeln: Kalkulation, Überwachung, Optimierung, Ausbeutung. Das Video zeichnet die Transformation von handgewebten Patterns hin zu einer Logik der industriellen Massenproduktion nach. Entgegen der Vorstellung einer vermeintlichen Immaterialität digitaler Technologie sowie einer Autonomie von Maschinen werden hier historisch-materielle Zusammenhänge in den Vordergrund gerückt. Ein Voiceover begleitet die Bilder wie ein innerer Monolog. Dabei arbeiten die Muster gleichsam gegen die Arbeiterinnen, der Rhythmus der Maschinen wird zum Alptraum ohne Schlaf. Man sieht Konturen eines Bettlakens, in dem sich die Spuren eines Körpers abzeichnen – Bilder in Laken, Spuren einer Berührung. Die einen schlafen, während die anderen träumen. Hände führen Bewegungen aus, immer weiter, zeichnen Muster nach, werden zum Loop. Gleichzeitig schreiben sich die Patterns der Maschinen in die Körper ein, speichern sich im Gedächtnis ab. Ein endless scroll über Lochkartenmuster, über Grids und verschlüsselte Botschaften, jenseits von Sprache. Durch die Einführung programmierbarer Webstühle wurden jegliche textile Muster in kürzester Zeit herstellbar, berechenbar, wieder abrufbar, wiederholbar – ein Loop, der die Träume heimsucht, nicht nur die der Arbeiter*innen.

Auch die Fotoserie to grasp. carnal thoughts (2017) beschäftigt sich mit Themen der Berührung sowie der Archivierung von physischen Spuren. Ähnlich wie in Patterns Against Workers werden die Konturen eines Betts per Hand gescannt und später digital kombiniert. Es entsteht ein digitales Abbild einer haptischen Begegnung in Form einer visuellen Transformation des Körpergedächtnisses. Auf diese Weise entstehen Erinnerungen mittels Spuren, Rückständen und Kombinationen davon, jenseits einer Logik des Blickes, vielmehr zeichnet sich eine Logik der Berührung ab. Eine andere Arbeit von Olena Newkryta beschäftigt sich mit der Form des Teppichs und der politischen Bedeutung von Rastern. Ein blauer Wandteppich ohne klassische Motive wurde „programmiert“, auf seiner Oberfläche bilden sich Muster und Umrisse, die Zusammenhänge suggerieren, zunächst aber an abstrakte geometrische Formen denken lassen. Die Arbeit mit dem Titel Ornament & Crime, der den viel diskutierten Text von Adolf Loos aufgreift, wurde in Zusammenarbeit mit der Textildesignerin Katharina Jebsen entwickelt. Auch hier zeigt sich, wie sich digitale Prozesse gleichsam umkehren lassen. Die Arbeit basiert auf einem digitalen Satellitenbild und wurde mit einem halbautomatischen Jacquard-Webstuhl hergestellt. In Anlehnung an Ästhetiken des Ornamentalen bzw. die Darstellung von Naturmotiven im 18. Jahrhundert, insbesondere jene der Jacquard-Textilien aus dieser Zeit, steht das Raster von Ornament & Crime für die Unsichtbarkeit von globalen Zusammenhängen. Das Satellitenbild eines Baumwollgürtels wird hier zum Motiv, jenseits des Dekorativen. Das Raster wird zu einem System der Kodierung, um Verborgenes zu erfassen, das durch ähnlich agierende Rastersysteme erzeugt wurde, nämlich Statistiken und Tabellen, die im 18. Jahrhundert zur Überwachung und Erfassung von Textilproduktionsstätten in Frankreich entwickelt wurden. Das Raster als bürokratische Form, aber auch als Motiv, verbindet hier Aspekte wie Bevölkerung und Land mit jenen von Arbeitskräften und Ressourcen, von Massenproduktion und kolonialer Vergangenheit. Die Baumwollplantagen sehen aus der Drohnen-Perspektive zwar unscheinbar aus, entfalten ihre tieferen Zusammenhänge aber bei genauerer Betrachtung.
This Aggregate Of Images That Is The Universe ist der Titel der aktuellsten Arbeit von Olena Newkryta. Die Video-Installation, die sich aktuell noch in der Postproduktion befindet, wird 2025 in einer Solo-Ausstellung im Kunstraum Lakeside in Klagenfurt gezeigt. Auch hier beschäftigt sich die Künstlerin mit der marginalisierten Arbeit von Frauen sowie mit technologischen Infrastrukturen und Formen der Wissensproduktion. Newkryta dazu per Mail: „Der Kurzfilm greift auf ein Fotoarchiv des Instituts für Astronomie in Harvard zurück, um eine soziopolitische Geschichte des Sehens und der Wissensproduktion in den Kontext zeitgenössischer Formen des Datenextraktivismus zu stellen. Ausgehend von der Re-Inszenierung eines Fotos einer Gruppe von Astronominnen aus dem Jahr 1890 erzählt der Filmessay von der Geschichte des Harvard-Observatoriums in Peru und den Prozessen der Extraktion von Arbeit, Ressourcen und Auslöschung (anderer Formen von Wissen), die diesem imperialistischen Projekt zugrunde liegen.“ Das Video wird auf eine handperforierte Leinwand projiziert, deren Form sich auf eine Sternenkonstellation namens Kleine Magellansche Wolke bezieht. Das Licht des Projektors „fließt“ durch die Löcher der Leinwand, während die Gesamtinstallation den Film in Richtung eines aufflackernden Universums vergangener Bilder ausweiten soll.

https://olenanewkryta.com/

(Erschienen in Springerin 04/24, Issue: Climate Dignity)