HARD/SOFT. Textil und Keramik in der zeitgenössischen Kunst

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Wien. Weben, flechten, nähen, knüpfen, formen, verformen, sticken, verknoten, entknoten, auflösen. Einblicke in Ausschnitte. Eine Ausstellung als ein Layering, das sich auf- und abbaut, manchmal schichtet, zwischendurch überschneidet. Die Ausstellung HARD/SOFT im MAK, kuratiert von Bärbel Vischer und Antje Prisker, zeigt Verhältnisse, Gemeinsamkeiten und Dialoge zwischen zwei Materialien, deren Wesenszüge oft nicht als Analogie gedacht werden. Es geht um Textil und Keramik, zwei Welten mit ausführlichen Geschichten und Konnotationen. In HARD/SOFT sind Arbeiten von über 40 Künstler*innen zwischen zeitgenössischen und ikonischen Positionen zu sehen. Aussagen neben Aussagen. Viele der Arbeiten verhandeln den Ausstellungstitel ganz direkt. Als materielle und kulturelle Bedeutungsträger sind die beiden Medien in ökonomische und politische Systeme eingeschrieben, das sich in einer Bandbreite an Themen in der Ausstellung widerspiegelt. Durch die Räume gegen den Uhrzeigersinn.

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Im Foyer eingehüllt in das Bild einer Ameisenkolonie auf Jaquardwebstoff, das sich in langen Stoffbahnen zeigt. Von hier ein Blick in den ersten Raum. An der Wand ein dichtes Cluster, eine desorientierte Fliesengruppe, die an Bienenwaben und organische Strukturen denken lässt. Gemeinschaft formt sich hier in Ton. Die Arbeit Alle für Alle von Gelatin entstand im Zuge einer Performance im Ferdinandeum, Innsbruck, unter Einbezug von befreundeten Künstlerinnen und Besucherinnen. Die Motive zwischen verzerrten Stimmungen und Ausdrücken. Gegenüber wiederholt sich die Sprachkette „Made in Western Germany“ unzählige Male auf dem dunklen Material. Dabei handelt es sich um eines von Rosemarie Trockels Strickbilder. Der Saum wellt sich, deutet eine Bewegung an. Die Stimmung der Räume wechselt von hell zu dunkel. Die Farbe weicht ein wenig. Im Zentrum formen sich Figuren, deren Körper erst an den Raumgrenzen enden. Wandteppiche ohne Wand. Eine archaische Präsenz. Schatten oder dunkle Entitäten, die mit einem Wissen gefüllt ist, das sich hier durch die bloße Anwesenheit erzählt. Diese lassen an verschiedenste mystische Figuren aus der Popkultur denken. Die Abakan-Figuren von Magdalena Abakanowicz sind aus den natürlichen Materialien Hanf, Sisal, Flachs oder Pferdehaar gewebt. Die anderen Arbeiten ordnen sich kreisförmig um diese Anwesenheit. Eine skizzenhafte Zeichnung aus schwarzen Samtbahnen. Ein Territorium wird angedeutet und markiert. Didona der rumänischen Künstlerin Geta Brătescu orientiert sich an der phönizischen Prinzessin Dido und der Erzählung über die Markierung eines Territoriums durch eine Kuhhaut. Wie ein fragiler Scherenschnitt wird diese Mythologie von Brătescu auseinandergenommen und durch symbolische, persönliche Tools erweitert.

Verdrehte Grabsteine, unklare Botschaften. Ein Eintauchen in ein weiteres Layer, die 3D-Brille als Zugang. In Who Gave Us a Sponge to Erase the Horizon von Goshka Macuga wird ein maschinell gewebter Wandteppich dreidimensional. Die weirden Kreaturen tragen Anzüge und Koffer, auf denen etwas geschrieben steht, das man nicht erkennt. Das Eintauchen verdeutlicht sich auch auf Bildebene in einem dystopischen Unterwasserpanorama. Der Versuch, ein klassisches Handwerk durch 3D-Technologie neu lesbar zu machen. Auf einem Geflecht von Möbelgurten aus Wiener Geflecht verschlingen sich dicke Arme aus Samt. Die weichen Krallen tragen Ringe aus Stoff. Möbelsamt trifft auf Cord der Arbeiterinnenklasse. Daneben liegt ein Sargnagel. Die fleißigen Totengräberinnen und ihr Werkzeug von Ann Muller, Teil des Wiener Künstlerinnenkollektives Bar du Bois, ist eine Anlehnung an die Künstlerinnen der Wiener Werkstätte sowie die damit zusammenhängende Geschichte des Kunstgewerbes und Arbeitsbedingungen, Textilien als Material einer neuen Generation der Wiener Moderne. Die folgenden Körper wurden von der Außenhülle befreit. Die Wesen steigen auf. Die raumfüllenden Skulpturen aus der Serie To Infinite von Klára Hosnedlová erinnern in ihrem Ausdruck an ein paar Schritte zuvor, die Abakan-Figuren. Diese Umrisse formen sich neben Flachs und Leinen aus Hede, einem Abfallprodukt der Bekleidungsindustrie. Schichten werden zu Kokons, zu neuen Möglichkeiten eines posthumanen Lebens. Kurz vor Anfang fängt sich der Blick in einem Zimmer. Chambre 202, Hôtel du Pavot von Dorothea Tanning, Pionierin der Soft Sculpture und Surrealistin, aus dem Jahr 1970 bildet das Ende und gleichzeitig den Anfang. Das imaginative Zimmer in dunkler Verkleidung versammelt Albträume und Figuren, die als textile Gemeinschaft interagieren. Durch den Kamin wächst ein Monster. Die Physiognomie der Möbel verbindet sich mit denen der Wesen. Traumlandschaften. Auch hier entsteht eine Verbindung zu Arbeiten davor, die Transformation der Formenwelt der Tapisserie.

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„In room two hundred and two
The walls keep talking to you
I’ll never tell you what they said
So turn out the light and come to bed“

Rücken an Rücken. In HARD/SOFT stehen sich die Generationen mehrfach gegenüber, bilden ein Verhältnis der Zeiten. Die Werkstoffe werden verformt, überwebt, von Außenhüllen entfernt, manchmal aufgelöst. Es entstehen Verdichtungen, Ambivalenzen, Unschärfen, Umdeutungen. Die Ausstellungsthemen sind schon relevant, als Objekte des Alltags in Form von Fast-Fashion und Müllbergen irgendwo außerhalb des Sichtfelds, der anhaltende Hype um clazed ceramics in der jungen Art-Bubble, cute pottery und ceramic workshops. Als Ausdruck von Kreativität und Selbstheilung der That-Girls auf Social Media erzählen die Materialien an sich schon einiges über Allgemeingültigkeit und ihren Zusammenhang zur medialen Selbstdarstellung. Im Vergleich zu dieser Omnipräsenz der Motive, die einem täglich beim doomscrolling sowieso schon entgegenschlägt, wirkt die Ausstellung HARD/SOFT an manchen Ecken weit entfernt, manchmal distanziert. Schon nach ein paar Schritten kommt einem etwas bekannt vor. Es sind sehr viele Positionen. Es entstehen Wiederholungen, die sich später aber doch als Erweiterungen denken lassen. Nach so viel Material ist irgendwann ein leichter Zustand der Beklemmung am eigenen Körper zu spüren, die eigene Fake-Fur-Jacke muss zwischendurch in der Garderobe abgelegt werden.

  1. Dezember 2023 bis 20. Mai 2024
    MAK – Museum für angewandte Kunst, Wien

(Erschienen in Springerin 01/24, Issue: ArtGPT)