Out of the Box — Gordon Matta-Clark
zurück.Salzburg. Gebäude mit offenen Wunden, Häuser die sich aneinander stützen, aus den Winkeln gefallen, das Fundament untergraben haben. Lücken blicken aus den Räumen, das Licht fällt heraus. Die Konstruktion eingeschnitten, die Schichten offengelegt. „Rather than using language, using walls“, schrieb Gordon Matta-Clark in einem Katalog. „Using walls“ diese Worte stehen paradigmatisch für eine Arbeitspraxis, als Bilder ohne Körper in die Erinnerung geschlagen wurden. Mit Wänden müsste man das schreiben können. Eine Geschichte in wenigen Kapiteln. Light you see is the space you make.
Im ersten Raum stehen Eisenregale, in denen das Gehirn von Gordon Matta- Clark in seinen Schichtungen abgebildet wird. Bücher in Plastikgehäusen. Die Worte verborgen, verschlossen. Sketches und Notizen: The Tarot, Psychology & Alchemy, Paradise Lost, The Tree of Life,the Raw and the Cooke, Beelzebub’s Tales to his Grandson, The Cybernetic World. Ein Ouroboros, das Symbol einer Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, windet sich innerhalb des schützenden Plastikkorpus. Der Kurator Yann Chateigné beschäftigte sich im ersten Teil „Material Thinking“ mit der persönlichen Bibliothek des Künstlers, unterteilte diese in Alchemie, Netzwerke, Schwerkraft und innere Räume. Vier Komplexe, die sich in verschiedenartigen Formen in Matta- Clarks Arbeiten abbilden. Daneben findet man Dokumentationen von Arbeiten sowie Videoausschnitte, die in Rahmen projiziert werden. Die Ausstellungsarchitektur dieses Raums erinnert dabei visuell an die Miniatur eines Archivs, in denen sich die Gedanken in Metallregalen anordnen und überschneiden. Danach die Einschnitte. Als Ausgangspunkt von Out of the Box: Gordon Matta-Clark dienten die Sammlungen am Canadian Centre for Architecture (CCA) in Montréal und jene der Generali Foundation. Zum ersten Mal in Europa präsentiert die Ausstellung eine dreiteilige Forschungs- und Ausstellungsreihe zu Matta-Clark, die am CCA organisiert wurde. Die Kurator*innen Yann Chateigné, Hila Pegel und Kitty Scott beschäftigten sich mit den Archivmaterialien, Skizzen und Korrespondenzen des Künstlers, die Resultate wurden für die Ausstellung neu zentriert. Für Salzburg wurde auch ein weiteres, viertes Kapitel hinzugefügt, in dem der Künstler Hans Schabus sich ebenfalls mit dem Nachlass und Themen von Matta- Clark auseinandersetzte. Looking through the thing. Nach dieser Bibliothek folgt das nächste Kapitel, aus der Erzählung durch Wände geformt. Die Gebäudeschnitte oder Building Cuts. Die Stadt wurde zum Material, dem Stoff, der die Bilder schafft:_„By urban fabric I mean social economic and moral conditions as much as the physical state of the streets or structures throughout the city.“ _Die Building Cuts sind ephemer, wurden später planiert, wie all das, was keinen Nutzen mehr erfüllt. Der Schnitt als Öffnung. Wunden gehören verdeckt. Der performative Akt ist dabei wichtiger als das physische Objekt, das vor Ort entstand. Die dokumentarische Praxis des Filmens wurde somit zum Konservierungsmedium, die Einschnitte wurden abgerissen, aufgelöst. Als Rückstand wurde der Raum im Film eingefangen und schneidet sich in die Blicke. Eine Kritik am Funktionalismus. Wegnehmen, statt hinzufügen. Gordon Matta-Clarks Einschnitte in leerstehende Gebäude, die meist kurz vorm Abriss standen, sind immer auch Bild eines gesellschaftlichen Gefüges und der damit zusammenhängenden Wirklichkeiten. Splitting fand 1974 in New Jersey statt, es war
der erste großformatige Einschnitt in ein Gebäude. Die Arbeit nutzte ein Nachkriegseinfamilienhaus als Ausgangspunkt. Über den Zeitraum von mehreren Monaten wurden Teile des Steinfundaments entfernt. Das Gebäude begann zu kippen, das Bild auch. Die Schnitte schaffen eine Öffnung, eine Verbindung zwischen innen und außen, und lassen die Räume miteinander in Dialog treten. Diese „Anarchitecture“ zentriert den Blick auf die Schnittstellen, Leerstellen und Nicht-Orte im urbanen Städtebild. Zentral waren die so entstehenden Schichtungen. „Completion through removal. Abstraction if surfaces. Not-building, not-to-build, not-build-space. Creating spacial complexity. Reading new openings against old surfaces. Light admitted into space or beyond surfaces that are cut. Breaking and entering.“
Margery Salter in einem Brief über Gordon Matta-Clark, der diesen später redigierte, August 1973.
Ein Schritt weiter, in den nächsten Raum. Rückblicke von Hans Schabus. Vorbei an einer Auswahl aus dem Fundus von Gordon Matta-Clarks Reisefotografien, die von Kitty Scott in den Raum gebracht wurden. Für das Ausstellungsdisplay nutze Schabus die Gipswände vergangener Ausstellungen, sie wurden zerschnitten und neu angeordnet, geschichtet. Die Beschäftigung mit dem Aspekt der Nachhaltigkeit von Räumen und deren Material tritt hierbei in Korrespondenz mit den Arbeiten Matta-Clarks. Man sieht 16 Röhrenfernseher, die in zwei Bahnen, Rücken an Rücken angeordnet wurden. Technische Relikte aus vergangenen Tagen. Die Filme als immaterielles Manifest. Daneben entwickelte Schabus ein Künstlerbuch The Story of an Artist: Business Letters by Gordon Matta- Clark. Als Buch lässt sich hierbei eine
Dialogform nachzeichnen, die Matta- Clarks Alltag maßgeblich begleitet hatte, das Briefschreiben. Das letzte Kapitel in Ordnern archiviert. Der gesamte Nachlass als Kopie. Die Worte auch hier verborgen. Ein kaum merklich bespielter Raum, in dem eine Ordnerreihe den schriftlichen Nachlass, das Archiv von Gordon Matta-Clark, abbildet. Neben den Ordnern wurde Platz gelassen. Dem Gegenüber eine handschriftliche Notiz, an der Wand angebracht. Die letzten geschriebenen Worte in Form eines Briefs, den Matta-Clark kurz vor seinem Tod verfasste. Der Text beschreibt einen dieser Frühlingstage, den Blick von Harlem nach Downtown. Ein Blumenbouquet in seinem _perfect state of bloom. Their perfume works so well to cover up this now stinky rotting artist_so seine Selbstreflexion. Die letzten geschriebenen Worte waren erst der Anfang.