Rojin Sharafi (Interview)

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Rojin Sharafi ist Formenwandlerin. Sie arbeitet interdisziplinär zwischen den Medien: von elektro-akustischer, zu kontemporärer Komposition und Installation. Verschiedene Elemente zwischen Tradition, Klassik und Gegenwart werden in ihrer Praxis als erzählerische Schichten und musikalische Texturen formuliert. Releases findet man u.a. auf Zabte Sote, Opal Tapes. Das letzte Album „KARIZ“ erschien im vergangenen Jahr auf Ventil Records. Die umtriebige Künstlerin Rojin Sharafi erzählt Ada Karlbauer über die Langweile von Reduktion, die Unmittelbarkeit iranischer Volksmusik, die Schwierigkeit von Eintauchen und Versinken und dem Wunsch monatelang einfach zu verschwinden. Das Interview wurde geführt, bevor die Proteste im Iran begonnen haben.

Man kennt deine Praxis u.a. als die Fusionierung des Traditionellen mit dem Zeitgenössischen, die Wiederentdeckung von vergangenen musikalischen Sprachen in Form von elektronischen Kompositionen und Kollaborationen, was interessiert dich daran?

In der iranischen Gesellschaft stehen Klassik und traditionelle iranische Musik an der Spitze, danach kommen Jazz Rock usw. und ganz unten findet man die Volksmusik. Ich denke das ist in vielen Gesellschaften ähnlich. Ich bin mehr oder weniger mit klassischer Musik aufgewachsen und habe lange Zeit Abstand zur traditionellen Volksmusik gehalten. Erst als ich nach Wien gezogen bin, habe ich die iranische Volksmusik für mich entdeckt. An der volkstümlichen Musik haben mich immer die Momente der Intuition interessiert. Es hat etwas ziemlich Rohes und ich habe das Gefühl, man versucht dieses rohe Gefühl auch oft innerhalb der elektronischen Musik zu vermitteln. Der Gesang in der volkstümlichen Musik ist sehr unmittelbar — das finde ich interessant. Inzwischen habe ich einen neuen Aspekt gefunden auch durch das Trio Huuum, das wir vor einem Jahr gegründet haben. Die ursprüngliche Idee war es, dass wir traditionelle Tanzmusik aus den verschiedensten Regionen des Irans neu interpretieren. Die Formation besteht aus der Saxophonistin Astrid Wiesinger und dem Sänger Omid Darvish, der sich selbst lange mit Volksmusik auseinandergesetzt hat. Das Land ist so vielfältig, es gibt so viele verschiedene musikalische Sprachen und Ästhetiken, das reizt mich sehr.

Wie unterscheidet sich deine kollaborative Arbeit von deinem Solo-Projekt?

Der Prozess und auch meine Rolle sind total anders. Es gab einen Zeitpunkt an dem ich mir gedacht habe ich möchte weniger solo spielen. Ich war durstig nach neuen Einflüssen. Nach den letzten drei Alben hatte ich das Gefühl, dass meine eigene, individuelle Welt und Intuition langsam ausgeschöpft sind und ich eine Pause machen sollte. Das war der richtige Zeitpunkt, um mehr mit anderen Leuten zu musizieren. Bei Huuum bin ich für die perkussiven Parts zuständig. Ich habe gemerkt, dass die Tendenz innerhalb meiner zukünfigten Solo-Musik auch mehr in Richtung Tanzmusik gehen wird. Das ist eine Entwicklung, die ich mir immer gewünscht habe, weil mich Rhythmus an sich wahnsinnig interessiert. Bei meinem ersten Album gibt es davon noch sehr wenig zu hören. Da ging es eher um Texturen. Das hat sich verändert.

Solo habe ich inzwischen mehrere Drummachines, eine analoge und zwei selbst programmierte, die ich in den letzten zwei Jahren mit einem Universitäts-Dozenten gemeinsam entwickelt habe. Gerade versuche ich diese Drummachines für Mehrkanal zu adaptieren. Mich interessieren Rhythmen die groovy sind.

Auch die räumliche Vermittlung von Sound ist als zentraler Aspekt zu erkennen.

Ich stelle mir oft die Frage, wie man elektronische Musik live spielen kann. Ich fand es immer interessant, wenn es verschiedene Live-Elemente gibt, d.h. nicht nur ein Gerät, sondern mehrere Geräte zu nutzen, sodass man als Publikum mitbekommt, wie die Klänge entstanden sind. Dann gibt es auch diese Show-Elemente, die für meine Performance sehr zentral sind. Das ganze Potenzial dessen konnte ich bisher noch nicht ausschöpfen. Meine Solo-Arbeit sehe ich als Gesamtkunstwerk.

Beim Blick auf deine künstlerische Praxis entsteht der Eindruck von Ruhelosigkeit. Dein Output bewegt sich zwischen Auftragswerken, Komposition für Tanz, Ensemble oder Soundtracks für Bücher. Wie lässt sich das mit dem Eigenen vereinen?

Es ist schwierig eine Balance zwischen Aufträgen und der eigenen Musik zu schaffen. Im vergangenen Jahr gab es Aufträge aus sehr unterschiedlichen Kontexten. Ich lerne dabei sehr viel, weil es oft Dinge sind, die ich noch nie gemacht habe. Ich möchte nicht in meiner Comfort Zone bleiben, sondern immer mit etwas Neuem konfrontiert sein, sonst langweile ich mich. Deshalb habe ich auch kein ruhiges Leben. Ich bin dann auch draufgekommen, dass ich seit über einem Jahr keine Musik für mich selbst gemacht habe. Das hat mich sehr traurig gemacht. Ich brauche das einfach auch aus psychologischen Gründen. Für mich ist es wie ein playground, ich fühle mich wie ein Kind, das spielt. Das ist cool. Die Balance zu halten ist trotzdem schwierig. Wenn man jünger ist denkt man, dass man etwas verpasst, wenn man etwas absagt. Inzwischen gibt es für mich ganz klare Kriterien, nach denen ich beurteile, ob ich zusage.

„Ich habe viel Zeit investiert, um mich selbst besser kennen zu lernen.“

Hat sich in den pandemischen Jahren des Innhaltens etwas an deiner Wahrnehmung oder Rezeption von Musik verändert ?

In den letzten zwei Jahren habe ich schon viel bewusster Musik gehört — fast wie als Teenager: ganze Alben, ohne Unterbrechung. In der Zeit habe ich aber auch viele wichtige Entscheidungen getroffen. Nicht so sehr musikalischer Natur, aber mein Leben hat sich sehr verändert in den letzten Jahren. Ich habe viel Zeit investiert, um mich selbst besser kennen zu lernen. In der Zeit habe ich auch wieder angefangen Klavier zu spielen. Ich habe diese komische Beziehung zu klassischer Musik: es gibt Phasen, in denen ich sehr leidenschaftlich Klassik höre, es gibt aber auch Momente, in denen ich die Klassik hasse. Ich denke das hat alles mit Musik lernen und der damit verbundenen konservativen Welt zu tun.

Ein kompletter Bruch mit der Klassik hat aber noch nie stattgefunden ?

Mit dem Komponieren von zeitgenössischer Musik war es schon einmal soweit. Ich denke mein Musikgeschmack hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Ich habe die abstrakte Musik sehr genossen, aber rückblickend kann ich nicht verstehen wie eine 22 Jährige eine so abstrakte Musik lieben konnte (lacht). Inzwischen mag ich einfachere Formen und Strukturen lieber, als das Komplizierte. Ich war nie ein Fan von Reduktion, für mich persönlich ist less ist more nicht der richtige Ansatz (lacht). Bei Auftragswerken ist das natürlich anders. Die Texturen die ich mache haben sich schon verändert, sie sind einstimmiger geworden, es gibt weniger Kontraste als zuvor. Ich finde Musik trägt sehr viel Psychologie in sich. Man hört den Charakter der Autor:in sofort. Auch wenn sich der Lifestyle verändert, hört man das in der Musik.
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Was genau stört dich so an der Reduktion, am „less is more“?
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Ich glaube es hat vor allem mit mir und meinem Charakter zu tun. Reduktion langweilt mich, nicht nur in der Musik, sondern auch in anderen Bereichen meines Lebens. Ich möchte immer neue Instrumente lernen, als wäre es Spielzeug und wenn ich einmal mit etwas arbeite, möchte ich das beim nächsten Mal nicht mehr. Ich glaube es hat sehr viel mit meiner Kindheit zutun. Ich mag es wenn es bunt und vielfältig und farbenfroh ist und bleibt.
„Ich mag Musik, die mich überrascht, die meine Erwartungen nicht erfüllt.“

Gibt es Künstler:innen oder Labels, die dich aktuell besonders inspirieren ?

Ich finde das Line-Up des Festivals Le Guess Who immer sehr interessant und es gibt auch Labels die ich aktiv verfolge wie etwa Nyege Nyege Tapes, die Releases finde ich immer total cool. Ich mag Musik, die mich überrascht, die meine Erwartungen nicht erfüllt.

Arbeitest du konzeptuell oder rein intuitiv, emotional? Wie wichtig ist das Eintauchen im Prozess des Musikmachens?

Ich versuche immer mehrere Konzepte miteinander zu verknüpfen. Oft inspirieren mich visuelle Aspekte oder Räumlichkeiten, manchmal auch Stimmungen, nach denen ich dann in Bildern, Interviews oder Dokumentarfilmen suche. Das gibt dem Ganzen noch einen anderen Aspekt. Das war bei meiner Arbeit am letzten Album im Lockdown der Fall. Ich mag es, wenn man etwas Theoretisches liest und das dann in einen künstlerischen Kontext übersetzt, d.h. die Theorie neu interpretiert. Ich habe sehr viel daydreaming betrieben und versucht neue Bedeutungen zu finden. Wenn man viel Zeit hat, kann man auch wirklich in die Dinge und Welten eintauchen, das passiert leider sehr selten. Im Lockdown war es aber möglich anders in Dinge einzutauchen als im normalen Alltag. Ich merke, dass ich diese Momente brauche, wenn ich jetzt anfangen würde an einem neuen Album zu arbeiten. Aber das ist fast unmöglich, weil man nicht monatelang verschwinden kann. Es ist trotzdem etwas, das ich mir sehr wünsche. Ich habe den Eindruck es gibt diese Momente des Eintauchen ganz am Anfang der Karriere und dann erst wieder wenn man sehr berühmt ist ( lacht). Dazwischen gibt es das nur sehr selten. Es ist immer ein Kompromiss. Manchmal würde ich am Liebsten auf einer Insel im Iran sechs Monate leben und mein eigenes Zeug machen, dort Zeit verbringen, ganz ohne Ablenkung.