When does the figure go to sleep?

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Der Kreis öffnet sich. Eine Versammlung ohne Anfang und Ende. Die Protagonist:innen wechseln. Die Perspektiven drehen sich. Der Raum öffnet den Prozess, das Kommen und Gehen, manche werden bleiben. Eine Kompliz:innenschaft entsteht im Dunkeln, hinter geschlossenen Augenlidern und dicken Moltonwänden. Im verborgenen Raum im Raum – dem „sensorial tent“ in der Halle G – schafft die One-on-one-Experience How Can One Know in Such Darkness? von Myriam Lefkowitz den Eintritt in eine Gemeinschaft von Unbekannten. Der Fokus liegt auf den eigenen Körpergrenzen. Keine:r sieht hier zu. Zeug:innenschaft als imaginierte Erinnerung. Ein Nebenraum, in dem Performer:innen nonverbal und nicht sichtbar agieren. Ihre Bewegungen kann man sich nur vorstellen. Dinge werden auf den ruhenden Körpern der Besucher*innen platziert. Unterschiedliche Texturen und Formen hinterlassen Sinneseindrücke, ganz ohne Spur. Erinnerungen des Materials. Körper im Stillstand. Durch ihr Aufeinandertreffen entstehen Erzählungen der Imagination. Unsichtbare Nachbarschaften. Eine Choreografie der Aufmerksamkeit, die durch eine Abfolge von Berührungen geleitet wird. Im „Sinneszelt“ kollidieren die Ereignisse. Draußen beginnt die Prozession This Tune von Alix Eynaudi mit PARASOL, auch die kann ich mir nur vorstellen. Die Geräuschkulissen der beiden Sphären vermengen sich, werden zu einer. Die Berührungen der Dinge schreiben sich auf meiner Oberfläche ein. Die Spur wird anhalten, auch später noch. Rückblick auf das erste Wochenende von Together the parts, als Fragmente, nicht chronologisch.

Together the parts – a performative gathering erstreckt sich als fluide agierendes Festival über zwei Wochenenden, kuratiert von Philipp Gehmacher und Katalin Erdődi. Künstlerische Ereignisse, Praktiken der Bewegung, kollektive Kreise, Gespräche, Installationen stehen nebeneinander, gehen ineinander über. Zwischen Involviertheit, Zuschauer:innenschaft und Partizipation strukturieren sie sich als Kette von Gemeinschaft(en). Ein Kommen und Gehen, ganz ohne definierte Muster. Der Bühnenvorhang wird nie ganz geschlossen. Was die Tage vereint, sind wiederkehrende Formate. Der Sound von Schritten auf der Treppe beim Raumwechsel als Rhythmus. Die Trennung zwischen Bühne und Sitzplätzen wurde aufgelöst, umgedreht, durcheinandergebracht. Als verbindende Elemente finden sich skulpturale, bespielbare Objekte, räumliche Erweiterungen der bildenden Künstlerin Eva Seiler, die im Verlauf des Festivals ein anderes Erfahren des Raumes ermöglichen. Die organisch geformten Sitzelemente sind mobil, haben keinen bestimmten Platz, genauso wie die Körper, die sich später auf ihnen niederlassen werden. Daneben finden sich Videoarbeiten, zu sehen auf Röhrenfernsehern, die zur Bühnenseite hin ausgerichtet sind. Die Anordnung der Objekte und Installationen ermuntert zum Stellungs- und Positionswechsel der Menschen, die sie betrachten, mit ihnen interagieren. Ein Dialog durch den Raum.

Die Gemeinschaft hat auf einer dunklen Stoffbahn auf der Bühne Platz gefunden. Manche sitzen, andere liegen – alles auf Anweisung. Auch die Randplätze sind belegt. Plumbing, levelling, propping that matter (tournée/practice-in-motion) von Sabina Holzer, Hans Schabus und Philipp Gehmacher ist künstlerische Selbstreflexion, assoziative Gedankenkette durch den und mit dem Raum. Verschiedene Medien treten durch die Körper und die Worte der Künstler*innen in Relation. „When does the figure go to sleep?“ Die Besucher:innen werden eingearbeitet. Eine Praxis des Stützens aus unterschiedlichen Winkeln und Posen. Mikrofonständer werden zu Prothesen. Eine Skulptur entsteht. Das Arbeitslicht bleibt stets an.

Erinnerungen an einen der „listening circles“ mit dem Titel Queer Archive Institute: Shifting Narratives. Im Zentrum die Arbeit des polnischen Künstlers Karol Radziszewski, der 2015 das sogenannte Queer Archive Institute gegründet hat, eine Organisation, die sich mit der Analyse und Interpretation von queeren Archiven und Sammlungen beschäftigt, Fokus auf Mittel- und Osteuropa. „Queering up the archive“ ist Radziszewskis Ziel. Er spricht schnell, zwei Ordner liegen vor ihm, in denen sich die eigene Praxis als Mikroarchiv angesammelt hat. Rot und blau. Die Zeug*innen wieder im Kreis, diesmal enger als zuvor. Diese Bilder und Scans als Zeitdokumente wandern von Hand zu Hand, treffen, überschreiben sich. Die Choreografie des Weiterreichens rhythmisiert die Erzählung von Radziszewski. Eine Choreografie der Erinnerungen. Fragen und Antworten danach. Der Kreis des Hörens transformiert sich zum Kreistanz („circle dance“). Es ist wieder dunkel geworden, das Arbeitslicht ist gewichen. SERAFINE1369 choreografiert in (Practice for) When we speak I feel myself, Opening den Rhythmus der vergehenden Zeit. Jede Minute wird von der Performerin angesagt, und als wäre es ein Zauberspruch, nehmen die Teilnehmer:innen neue Positionen ein, verändert sich das Tableau vivant. Auf einen Stillstand folgt der nächste. Auf den Boden projiziert: die Aufforderung zur Teilhabe. „A simple score for participation from stillness to stillness.“ Die Körper werden mehr und weniger, begegnen sich. Gruppen bilden sich, Verhältnisse, und lösen sich ineinander, nebeneinander wieder auf. Die Zeit vergeht anders, wenn man sie beschreibt.

Erinnerungen an eine Versammlung jenseits der Körper. Der Musiker Peter Kutin, der für das Gathering ein Soundarchiv zusammengestellt hat, zeigt mit ROTOЯ – A Sonic Body einen akustischen Körper als Soundintervention. Das kinetische Objekt hängt hoch. Die Bewegungen werden schneller, der Klang füllt Raum und Kopf. Alle rundherum im Raum verteilt, irgendwo. Die inneren Bildketten versammeln sich. Die rotierende Soundskulptur wird zur Performerin, deren Körper sich erst durch die eigene Bewegung formt. Begleitet von den Improvisationen der in rotes Licht getauchten Musikerin Freya Edmondes, die von der Zusehenden zur Agierenden wird. Am Ende verschwindet sie hinter dem Vorhang. Oft bleibt unklar, wo die Ereignisse beginnen und enden, ob etwas bereits angefangen hat. Es ist ein fließender Verlauf, ganz ohne Einschnitte. Der Circle oder Kreis, der als Form und Gedanke unterschiedlich wiederkehrt, ist als Bild zu verstehen, das das Programm zusammenhält, den Raum formt und ordnet. Im Inneren eines Kreises entsteht die Gemeinschaft, während Blicke gewechselt werden. In Together the parts ist nichts abgeschlossen, weder der Anfang noch das Ende. Keine endgültigen Formate, sondern Szenen aus der Praxis, wie ein Blick zwischen die Gedanken. Man erlebt wechselnde Settings und Dispositive in einem Raum der Vielheiten, der die eigenen Konturen von innen heraus verändert. Türen gehen auf und zu. Kommen und Gehen „on repeat“. Die eigene Zeit definiert diese Erfahrung im Raum, die bei jeder*jedem gänzlich anders verläuft. Auf den Boden wurden die Konturen gezeichnet. Together the parts schafft Erfahrungen von Miteinander. Am Ende schließt sich der Kreis.