Macabre — Özgür Kar
zurück.Wien. Der Tod und der Junge. In einem dieser verdeckten Hinterhöfe steht ein Gartenhaus. Von außen fast unbemerkt hat es sich in das Gebäude eingenistet. Durch die zentrale Glastür erkennt man bereits zwei dunkle Speaker, jeweils nach links und rechts ausgerichtet, als würden sie jemandem zuhören. Weiße Linien zeichnen die Silhouetten zweier Charaktere auf den schwarzen Hintergrund. Sie erwachen durch nur wenige Umrisse. Sie wurden hinter die Screens geklemmt, eingefangen. Sie liegen. Die Körperkanten sind angedeutet, kaum ausformuliert. Snake Charmer und Death. Der Tod braucht keinen Namen. Die Köpfe sind voneinander abgewandt, getrennt durch die Speaker im Zentrum deslänglichen Raums. Schwarze Kabelhaufen sind wie weich gewordene Gerippe aus den Körpern gefallen, am Boden verteilt, verlaufen wie Adern durch den Raum. Ein Dialog in Schwarz-Weiß. Die Soloausstellung Macabre öffnet, als erstes Programm, die Hintertür zum Kunstverein Gartenhaus. Die dafür geschaffene Video- und Soundinstallation des türkischen Künstlers Özgür Kar thematisiert ein dialogisches Aufeinandertreffen zwischen Leben und Tod, in romantisierten Figurenkonstrukten. Ein Theaterstück ohne Bühne, ohne Körper, ohne eigentliches Stück. Die zwei Figuren performen als Repräsentant*innen eine Gegenwart im Wandel, auf der Suche nach einer verlorenen Vergangenheit.
Erinnerung vergeht schnell. Die trotz formaler Reduktion plastisch anmutenden Animationen verbinden dabei die verschiedenen Einflüsse des
Künstlers Özgür Kar, zwischen türkischer Folklore, 90er-MTV-Cartoons und Stücken von Samuel Beckett. Der Titel Macabre verbirgt nicht, sondern formuliert direkt und trägt einen Berg an Geschichte hinter sich her. Skelette grinsen in Fratzen, tanzen in Gruppen, zur Melodie des Verfalls, das Fleisch schon lange verloren. „Tik Tok. Tik Tok“, zählt der Tod und hält sich dabei den Kopf. Die Zeit verrinnt im Loop, Anfang und Ende gibt es hier nicht. Man müsste schon suchen, würde aber wenig finden. Diese Konstanten helfen weder hier noch dort. Snake Charmer. Ganz ohne Worte, den Blick abgewendet, gegen die Wand. Er könnte jeder sein und erinnert trotzdem an Donald Trump. Mit seiner Klarinette beschwört er den Tod, sieht ihm dabei aber niemals ins Auge. Er ist ein Junge, dessen Rolle sofort an den „Rattenfänger von Hameln“ oder ähnlich alte Geschichten denken lässt. Er spielt mit dem Tod, kontrolliert seinen gesprochenen Monolog durch den dunklen Sound der Klarinette. Die Worte, das Gesprochene stehen in klarer Verbindung zu den Tönen, bilden eine gemeinsame Erzählung, die ohne einander zerbröckeln würde. Durch seine Melodien bewegt er die Worte aus deinem Mund oder bringt ihn auch für immer zu schweigen. Angst und Kontrolle verbinden sich. Jedem Zug sein Gegenzug. Der Junge spielt das Lied für den Tod, eine Variation des Teufelsintervalls, dem Diabolus in musica, der schon im Mittelalter den Frommen die Angst in die Ohren und Gebete trieb. Death hinter Glas sieht so aus, wie man ihn sich bildhaft schon vielfach vorgestellt hat. Man denkt an diese Holzschnitte, die historischen Abbildungen, den Dance Macabre. Skelette im Gleichschritt, in Reih und Glied. Ästhetisch an einen Comic erinnernd, gedanklich aus dem Mittelalter inspiriert und hinter den Screen gesperrt. Irgendwann war der Tod noch schwarz. Heute ist er transparent. In Özgür Kars Macabre wird das Thema Tod als geskriptetes Narrativ theatralisiert, romantisch-verklärt und unheimlich zugleich, steht dabei formell in klarem Kontrast zur Gegenwart, in der konkrete Körper zu Zahlenbergen geworden sind. Death ist hier nicht das Ende, sondern symbolisiert vielmehr die Präsenz einer permanenten Anwesenheit, die ohne eigentlichen Körper agiert. Multiperspektivisch, dezentral. Der ins Gegenteil verkehrte Tod, er verbirgt sich. Sich permanent wandelnde, sich überschlagende Newsfeeds, Posts und Reposts, Zahlen, Diagramme, überfüllte Betten und so weiter. So entstehen die Bilder. Der Tod ist nicht das Ende, sondern beginnt schon lange davor. Die Bewegungen der Protagonist*innen sind reduziert, eher wie ein blindes Zucken der Finger, ein mechanisches Beben der Lippen, synchron im Rhythmus der Sprache. Der Kiefer klappt auf und zu. Worte fallen heraus. Zu und auf. Wortwiederholungen formen den Rhythmus. Die Charaktere wurden eingefangen, in diesem Glashaus. Wenn alle Türen irgendwann in die Schlösser fallen und das Licht vergeht, sind sie vermutlich immer noch dort. Der Tod spricht flüsternd, füllt den Raum mit seiner tiefen, erzählerischen Stimme, in der man ein leichtes Grinsen und so manche Gegenwartsmärchen hört. Heute tanzt keiner mehr. Die Körper sitzen fest, warten auf die Vergangenheit, die wiederkehrt. Der Tod lacht wieder, auch hinter seiner Maske.