General Alert. Kriege, die nie enden

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Wien. 5.500 Zeichen für 34 Künstler* innen. Durch die getönten Scheiben der Erste Foundation die Konturen einer Zeichnung von Alevtina Kakhidze. Gegenüber am Wiedner Gürtel wurden drei leer stehende Geschäftsflächen angemietet. In dem Haus in der Farbe von Geldscheinen. Die Ausstellung General Alert mit dem Untertitel Kriege, die niemals enden verhandelt Konflikte zwischen Repressionen der Vergangenheit, Kriegen der Gegenwart und Geistern der Zukunft. Kuratiert von Silvia Eiblmayr in Kollaboration mit Kathrin Rhomberg, die meisten Arbeiten stammen aus der Kontakt Sammlung der Erste Foundation.

Der Titel General Alert. Kriege, die nie enden wird sich später auf einem ehemaligen Giftschrank auflösen. Schüsse durchdringen den Raum. Worte des Aufstands am Kyjiwer Maidan. Die Uhren ticken anders, die Zeiten stolpern gegeneinander. Die Augen fallen in die Landschaft des Todes, verlieren sich im Schwarz, das die Geschichte verbirgt. Vor und zurück. Eintritt in den ersten Space, die Fassade ist zehneurofarben. Paysage de la Mort von Dimitrije Bašičević Mangelos (1971) erzählt aus seinen Notizbüchern des Zweiten Weltkriegs über die Unmöglichkeit der Kunst. Der Tod lauert zwischen und über den Zeilen. Diese Worte öffnen den Raum. Glastür mit Blick auf die Straße. Fahne im Stillstand. Die Skulptur des ukrainischen Künstlers Nikita Kadan, aus dem Metall eines alten Lieferwagens geformt, liebevoll Gazelka (kleine Gazelle) genannt, Sinnbild der Innovation, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in der Stadt Sievierodonetsk gefunden. Aktuell Hotspot des russischen Angriffskriegs. Durch die Löcher der Bleifahne bricht das Bild einer Videoarbeit. Blaulicht. Responsibility von Alina Kleytman zeigt die Künstlerin selbst, eine dunkle Straße entlanggehend. In den Händen leuchten Einkaufssäcke wie Warnschilder in der Nacht. Slow Motion. Ein Donnern durchbricht das Bild, den Raum, Worte wie „fear“ and „pride“ blitzen hervor. Das Video stammt aus 2017, als bereits seit drei Jahren Krieg in Luhansk und Donezk herrschte.

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Ausschnitte aus Endre Tots Gladness-Serie, Blick durch die verbrannte Zeitung, Ion Grigorescus 29-teilige Fotoreihe Electoral Meeting (1975) und Geta Brătescu Censored Self-Portrait als Collage der Zensur sind hier zu finden. Weiter die Straße entlang. Hinein in den 200-Euro-Schein. Auf diesen Scheiben liegt die Folie wie ein Film auf den Augen. Die eigene Vergangenheit hinter getönten Scheiben, wie hinter vorgehaltenen Händen, zum Schweigen geformt. Remote … Remote … von VALIE EXPORT, bildhafte Verarbeitung eines kollektiven Traumas aus 1973. Erinnerung als Body Horror. Milch und Nägel. Dahinter die Fotografien der misshandelten Kinder in Schwarz-Weiß. Verletzungen auch nach dem Krieg. Keiner hat’s gewusst, keiner hat’s gesehen. Im engen Hinterraum Fotografien von Heimrad Bäcker aus der Reihe Konzentrationslager Mauthausen in getöntem Licht. Keine Hinweise auf den eigentlichen Ort. Keine Haken und Tore und Schriftzüge. Das könnte überall sein. Abbilder die die Geschichte in sich aufgesaugt haben, und als Schreckensdinge immer und weiter reproduziert. Die Bilder zeigen die Abstraktion der Realität. Der Blick aus einem vorbeifahrenden Auto würde auf Šejla Kamerić Plakatarbeit in der Fensterfront Bosnian Girl fallen, die mit No Teeth …? A Mustache …? Smell Like Shit …? rassistische Stereotype hinterfragt.

Dritte Location, eine ehemalige Apotheke. An einer Wand ist ein Friedhof entstanden. Jedes Bild beerdigt einen Begriff der Marktwirtschaft. Inflation, Kaufwert, Warenwert, Marktwert, Geld, Produktplanung. Investition, Produktversicherung, Marktmehrwert, Gewinnrate. Der serbische Künstler Mladen Stilinović zeigt in Images – Graveyards (1988) ein Netz an Toten wie ein Dorf geformt. Der Tod wird hier als Herrschaftssystem verhandelt. Der polnische Künstler Wilhelm Sasnal zeigt mit dem Bild Hitler die Unmöglichkeit der Abbildung des Bösen. In Referenz zu Die Straße (1959), ein nicht realisiertes Projekt des polnischen Architekten Oskar Hansen, wurde eine Holzlatte quer durchs Bild genagelt. Vorbei an: Erna Rosenstein, Ceija Stojka, Ana Lupaș, Sabine Groschup, Ion Grigorescu, Ștefan Bertalan und vielen andere. Im ehemaligen Lager mit Blick in einen Innenhof, zwei alte Röhrenfernseher nebeneinander. Links: eine spanische Soap Opera, rechts: Godards À bout de souffle. Über die Normalität der Bilder ist ein Schriftzug eingebrochen: „Opća Opasnost“ oder „General Alert“. Die Bilder machen weiter. Sie können nicht anders. Diese Arbeit von Sanja Iveković entstand 1995, als Zagreb durch serbische Raketen attackiert wurde. „General Alert“ oder „Opća Opasnost Zagreb“ hat sich zwischen die Bilder geschrieben, die Iveković festhielt. Trash-TV, Klassiker, Fiktion & Realität in Kollision. Gegenüber archivierte Zorka Ságlová mit Tribute to Gustav Oberman von 1970 in Form einer großflächigen Fotoserie ein Reenactment der Aktionen des tschechischen Schusters Gustav Oberman, der als Feuerspucker gegen das NS-Regime protestierte und eingesperrt wurde. Das Feuer im Schnee und Blick eingefroren. Auf dem Treppenabsatz zum Keller die Arbeit Kiev (after Lumiere) von Anna Jermolaewa (2021). Ein Flohmarkt an den Gleiskanten, ein Einschnitt durch den einfahrenden Zug. Der Zug fährt durch die Situation, danach ist alles wieder so, als wäre nichts gewesen. Nur ein Jahr später, eine passende Allegorie der Gegenwart. Im Gewölbe die entblößte Choreografie der polnischen Ehrengarde, nackte Soldaten mit Gewehren und Kopfbedeckungen lachen, schämen sich. Solche Jungen schickt man jetzt in den Krieg. Das Video von Artur Żmijewski stammt aus dem Jahr 2000 und verhandelt die Schattenseiten dieser Rituale. Ein kurzes Video davon, privat auf die Plattform TikTok hochgeladen, wurde zwei Minuten später blockiert. Zurück in die Hallen der Erste Bank, ein Geldschein, dessen Fassade keine Farben braucht. Geschäftsmänner gehen auf und ab wie ein Meme. Pejë, Kosovo (1998), eine textile Patchworkwandarbeit von Erzen Shkololli, dessen Motiv sich in einigen Metern Abstand zeigt, davor bleibt es schwarz. Anspielungen auf die albanische Stadt Peja, die eigene Biografie, den Kosovo-Krieg. Särge und Blumen. Die Farben wachsen aus der Dunkelheit. Daneben 470 Postkarten als Kriegstraumabewältigung gemeinsam mit Kindern in Betreuungseinrichtungen gemacht. Die Motive sind explizit: hochgehaltene Waffen, gefallene Körper, symmetrische Grabsteine. Bilder, die in der medialen Verhandlung des Kriegs meist verborgen bleiben. Doch mehr als 5.5000 Zeichen geworden, den Rest muss man sich vorstellen.

General Alert. Kriege, die nie enden, Ausstellungsansicht, Wien, 2022 Foto: Oliver Ottenschläger