(Salix babylonica)

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Von Anfang an war sie schon da. Genau da, wo sie jetzt ist. Bevor ich selbst da war, war sie da. Zwischen den Pflastersteinen hervorgebrochen, die sie einschließt. Diese Dinge die immer schon da gewesen sind bemerkt man erst später, erst dann wenn eine Geschichte, irgendeine Erzählung den Blick schärft, die Transparenz auflöst. Der Versuch eine Beziehung zu etwas aufzubauen das immer schon da gewesen ist. Der Name erzählt alles und nichts. Salix babylonica oder echte Trauerweide. Die Zeit läuft ab. Jede zweite Woche zu Besuch. Der Versuch einer Annäherung in Fragmenten, ohne Abbildungen.

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Aus dem Zimmer, das sich im Dreieck unter dem Dachstuhl befindet, fällt der Blick auf diese Weide. Die da immer schon gestanden ist. Ab jetzt ununterbrochen, als müsste man etwas nachholen. Immer wenn er herausfällt, fängt er sich in den rutenförmigen Zweigen, die Richtung Boden verlaufen. Ab jetzt liegt die Weide spürbar im Nacken, weil das Bett Richtung innen steht. Fotos mit dem falschen iPhone aus dem Fenster, später under dem Dachdreieck vergessen. Die Weide bleibt nur im Kopf, in der Erinnerung. Kein Beweis für die Existenz. Die Weide verbirgt sich. Ist nach innen gerichtet. Draußen vor der Tür verändert sich das Bild. Eine Trauerweide ist ein Flachwurzler, die Wurzeln wachsen nahe an den Oberflächen. Gehplatten können mühelos angehoben werden, sagt das Internet, bisher ist das nicht passiert. Die Garage steht noch gerade. Die Weide ist als Zierbaum weltweit verbreitet. Sie wächst auf feuchten und lockeren Böden an Gewässern, hier wächst sie aus dem verpflasterten Boden.
Rund um das Fenster um das es geht, gibt es auch Umrisse und Grundrisse, es handelt sich ein Haus mit Kanten und Ecken, das mindestens genauso lange schon dort herumsteht wie die Weide selbst, das genauso aussieht wie man es sich jetzt vorstellt. Es könnte auch überall anders sein, wo Weiden stehen. Was ist mit der Weide und dem Haus, der Weide und dem Bach, die Weide und dem Teich, die Weide und der heimlich begrabene Opa in der Wiese, die Weide und alle anderen die noch nie hin und weg geschaut haben, gibt es da Verhältnisse oder werden diese nur durch den Blick verbunden?

Verschiedene Stimmungen. Die Weide bleibt meist unbewegt. Die Wuchsform dieser Weide ist dunkel oder dark, wie man es sagen möchte. Wenn das Wetter bricht, die Sonne vergeht entsteht die Bewegung, zwischen leicht und stark. Die Arme fliegen hin und her. Die Schuppen der Blätter die vor den eigenen Augen gefallen sind liegen über den Boden der Einfahrt verstreut. Danach muss man aufräumen. Diese Spuren will keiner sehen. Gebrochene Äste werden zu offenen Wunden, die dann später von einem dieser „Männer“, die man dort ruft weggebracht werden müssen, schnell aus dem Sichtfeld entfernt werden. Immer und wieder da gewesen um aus dem Fenster zu schauen. Die Weidenkätzchen verfangen sich an den Körperenden, unter Sohlen, in den Haaren und werden zu einer Spur die sich über verschiedene Treppenabsätze legt. Die man später überall dort findet wo man sie nicht braucht. Die Oma hat Angst wie immer. Erinnerung kennt keine Zeit. Eingetrocknet anders als frisch.

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Die Echte Trauerweide ist ein Baum mit weit ausladenden Ästen.

weit auslandende Äste

Die Zweige sind lang rutenförmig, dünn, hellgrau, kahl und überhängend.

rutenförmig, dünn, hellgrau, kahl und überhängend.

Die Laubblätter sind kurz gestielt, lanzettlich

kurz gestielt, lanzettlich

bis 17 Zentimeter lang und 2,5 Zentimeter breit, lang zugespitzt und am Grund genauso zusammenlaufend.

Der Blattrand ist knorpelig gesägt.

knorpelig gesägt.

Die Oberseite ist dunkelgrün, die Unterseite graugrün, beide Seiten sind kahl.

Der Blattstiel ist 5 Millimeter lang. Nebenblätter sind nur selten vorhanden.

All das was im Internet steht klingt so weird. Weidensprache.

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Irgendwann früher war das was man sich hier jetzt vorstellen muss eine Mühle. Davon sind nurmehr Mühlenräder, Holzlatten und Grundrisse geblieben, die woanders gestapelt werden oder in der Wiese neben dem Opa liegen. Und eben die Weide. Neben diesem Haus, unter diesem Fenster trauert die Weide schon lange. Diese echte Trauerweide. Wie lange ist und bleibt unklar. Die Physiognomie des Stammes lässt eine Lebenszeit von knapp 100 Jahren vermuten. Die Oma sagt sie war schon da als sie gekommen ist. Von Anfang an war sie schon da, genau da wo sie jetzt ist. Keiner hat sich je gefragt wer sie geplanzt hat, warum sie da ist. Wie die Oma geheiratet hat war sie schon da, sagt sie. Mit 20 ist sie hergezogen, daher wo die Weide seither davor steht. Sie war schon groß, sagt die Oma. Die Oma ist jetzt 84, dazwischen sind 64 Jahre vergangen und die Weide war davor schon da, den Rest muss man sich selbst ausrechnen, weil alle anderen schon tot sind.

Es folgen weirde Telefongespräche mit Familienmitgliedern, diese lassen kollektives Misstrauen entstehen. Die Frage nach dem Ursprung eines Baumes führt zur Angst, davon dass man ihnen etwas wegnehmen möchte, was immer schon da war. Keiner will sich mit der Weide beschäftigen die da steht. Keiner weiss etwas über die Beschaffung. Irgendeiner sagt wenn Weiden sterben, dann ist das sichtbar. Sie schreien und weinen, sie verblühen. Ein anderer schreit ins Telefon, weil der nicht versteht was ich von der Weide will. Ich hatte mir hier eine symbolhafte Geschichte vorgestellt. Die Weide als Stammbaum von allem was vergessen oder verschwiegen wird. Schon in der Romantik war die Trauerweide ein gängiges Motiv, ein Lifestyle. Google Suche: Wie alt werden Trauerweiden. Antwort: 60-200 Jahre. Die Weide ist schon über das Haus hinausgewachsen. Keiner weiß mehr irgendwas. Keiner kann sich erinnern. Erinnert sich die Weide ?

Diese Weide verschluckt Dinge:

Katzen
Blicke
Bälle
Spatzen
Drachen
Papierflieger
Erinnerungen
Federbälle
Unsummen
Blitze
Ängste
Verdrängungen
Lügen

Die Weide stand immer schon in enger Verbindung mit Projektionen von Volks-, und Aberglauben, war Symbol einer verborgenen magischen Energie. Bei den Germanen als Baum des Todes. Woanders für Trauer. Die Weide meint auch Hexenbaum. Man sagt in den Spitzen der Bäume ruhen Hexen, manche sprachen sogar vom Teufel. Später wurden aus dem Weidenholz Flöten angefertigt, mit denen man die Kreaturen vertreiben wollte. Gleiches mit gleichem. Im Voodoo werden Knoten in Weidezweige gemacht um das Böse zu meiden.Dieser Glaube hat sich in der englischen Sprache niedergeschlagen, ist in die Wörter eingewachsen: Weide = willow und kommt aus dem gleichen Wortstamm wie Hexe (witch) oder böse (wicked). Auf Trauerzeremonien spielte man Flöten aus Weidenholz.

Weitere spirituelle Deutungen:

der Baum als Sinnbild der Jungfräulichkeit, sie trägt Blüten aber keine Früchte
Als Symbol sexuellen Verlangens, Schwangerschaft & Mutterschaft
Der Baum der Schwelle des Übergangs
Zwischen Leben und Tod
Zwischen Himmel und Erde
Zwischen oben und unten

In der Zeit der Kelten wurden Puppen aus dem Holz der Weiden geformt, später verbrannt um den Gott des Winters in „Brigid“, die Göttin des Lichtes zu verwandeln. Brigid war auch Muse von Heiler:innen und Schaman:innen, die Weide wurde zum „Hexenbaum" . Das Wort Weide basiert auf dem indogermanischen Wortstamm uei, so wie die Wörter, ‚weich‘ und ‚Weib‘. Weide bedeutet so viel wie biegsam. Später bog man aus Weiden Körbe. Mit langjährigen special interest an vor-, mittelalterlicher Mystik und Hexenkulten entsteht durch diese Lesart eine Verknüpfung zu einem Motiv, dass sich schon länger um das Haus und ihre Bewohnerinnen legt. Die Auswahl der Weide verstärkt das Bestehende, framed Geschichten symbolhaft. An diesem Ort an dem die Weide steht, gibt es nur Frauen. Eine Generation von Töchtern, deren Männer und Partner aus dem Leben gefallen sind, fast so, als wären die Weidenarme hypersymbolisch über der weiblichen Linie gehangen, der Rest ist weggebrochen. Die Weide war immer schon da und trotzdem keine Informationen über ihren Ursprung. Nur wenn der Wind kommt herrscht Bewegung. Mein Vater schrieb mal ein auto-fiktionales Drehbuch mit dem Titel „Die drei Hexen von Neudorf“, auch er weiß nichts über die Geschichte der Weide. Soviel dazu. Die Verhältnisse formen sich durch den Blick.

Weide klingt wie weird, je öfter man es schreibt.

Andere Assoziationen als Schultern:

Zöpfe
Finger
Strähnen
Arme
Klauen
Beine

Seitdem der Blick auf die Weide gefallen ist, haben zwei Jahreszeiten stattgefunden. Zu Kalt und zu warm und dieser Regen, der sich um den Weidenhals legt wie eine Drohung. Die anderen kommen erst danach oder nie wieder, weil Konstanten nicht mehr existieren werden. Während die Blätter auf und abgefallen sind ist die Grundform des Baumes geblieben, eben wie ein Skelett deren Haut sich mit den Umständen verändert, deren Oberfläche die Zeit zeichnet, deren Größe variiert, deren Struktur sich mit den Jahren transformiert. Die langen Ruten hängen wie taube Greifzangen nach unten. Lassen die Schultern hängen. Schutz der Einfahrt. Schutz dem Sichtfeld. Mittel zum Zweck. Der Blick wird verborgen. Über der Hälfte des Baumes, die sich in etwa auf Augenhöhe des Fensters befindet, verändert sich die Form. sie bricht auf, die Arme biegen sich nach oben Richtung Himmel. Die Äste vereinen auf diese Weise zwei Richtungen in einer Bewegung. Das Haupt spricht eine andere Körpersprache als der Rumpf. Die Aussage ist zweigeteilt. Die Oma sitzt hinter den Ecken und Kanten und hat Angst vor allem. Die Weide schirmt sie ab. Sie leidet unter der Ödön von Horvat-Angst. Die Arme wirft sie dabei zum Schutz über den Kopf. Möglicherweise eine Imitation der Physis der Weide die im Blickfeld ruht.

Fragen:

Wer hat die Weide geplant
Wer hat den Standort ausgewählt
Wie hast die Weide solange überlebt
Was hat die Weide alles gesehen?
Was hat die Weide alles übersehen?
Was hat die Weide vergessen?
Wer hat die Weide Vergessen?

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Irgendwann vorher, noch bevor der Blick aus dem Fenster gefallen ist, fand ich ein Foto. Versteckt zwischen Bücherreihen, die schon seit vielen Jahrzehnten nicht mehr bewegt wurden, deren Inhalt irrelevant geworden ist. Straub drüber und drunter. Nur das eine, kein weiteres. Das war kurz bevor die Weide ausgewählt wurde, um eine Beziehung aufzubauen. Das Foto endete am Nachkasterl, neben dem Fenster unter dem Dach, mit Blick auf das was man jetzt schon kennt. Jetzt wo das „Ende“ der Zeit, die erst angefangen hat gekommen ist, das Ende eine Beziehung mit etwas aufzubauen was davor und danach immer noch genau da sein wird, ein Blick durch die Foto-Gallery des iPhones. Das Foto des Foto-Negatives wiedergefunden, mit Air-Drop auf den Computer, dort invertiert. Die Gesichter wechselten von undeutlich zu deutlich. 7 Personen die keiner kennt, sogar Hunde. Bauernwegzeug in der Hand. Sie stehen in der Landschaft, die vermutlich genauso alt ist wie die Weide selbst. Auf diesen Zufall folgt die kurze Annahme, es würde sich um den Fleck handeln an dem die Weide steht, bevor sie dort stand. Dazu kann keiner was sagen. Eine weitere Annäherung an etwas, was unklar bleiben wird weil keiner irgendwas weiss, irgendwas erzählen will.

Das Wort ist der Mord am Ding
Das Bild ist der Mord der Erinnerung

Also verkörpert die Weide in diesem Zusammenhang das Verhältnis von Erinnerung und Vergessen, ohne Wort und ohne Bild. Der Baum wird zum Spiegel der Bewohner:innen, je länger man drauf schaut. Diese Weide wird niemals richtig abgebildet werden. Auch wenn die Zeit der Beobachtung abgelaufen ist bleibt der Blick und Wahrnehmung. Von Anfang an war sie schon da und wird es auch bleiben.