waiting to be rendered forever more — Gedanken zum Avatar LaTurbo Avedon
zurück.Das Vergessen steht am Anfang, obwohl es meist erst damit endet. Auf dem Screen eine Tankstelle in Schwarzweiß, verlassen und überflutet. Aus der Ferne ein Schriftzug, gespiegelt im stillen Wasser. Das Wort „Lethe“ formt sich in die Nacht. Die Video-Simulation ertrinkt im Vergessen, überschreibt sich selbst, als endloss loop. Szenen aus der Installation Pardon Our Dust von LaTurbo Avedon im MAK Wien. Der Begriff „Lethe“ dient hier als symbolisches Keyword für den Fluss des Vergessens, entnommen aus der griechischen Mythologie. Man sagt, wer daraus trinkt, lässt die Erinnerungen zurück, an der Schwelle zum Reich der Toten oder wohin sonst die Schwelle führt. Alles, was war, bleibt zurück. Danach: ein Auferstehen im neuen Körper. Das Ende ist somit der Beginn einer neuen Figur, jenseits von physischen Manifestationen, Gedanken und Erinnerungen. Auch LaTurbo Avedon beginnt mit dem Ende, oder endet mit dem Beginn:
have i loaded, once again
I could see it all reflecting back
a canopy advertising every heaven
infinite subdivisions, simulated parcels
in the surface of this reloading stream
hopeful foyer of tomorrow’s shape
waiting to be rendered forever more
So i too, waited
In this place
at the flooded station’s edge
i placed my hands into the stream
asperge, asperge, asperge,
lethe [1]
LaTurbo Avedon ist „from the internet“, ein digital Native ohne physischen Körper. 1995 wurde dieser Charakter der eigenen Erinnerung nach im Role-Play Chrono Trigger geboren und verändert seither zwischen den Medien die Gestalt, ganz ohne Fleisch. Der Prozess der Character Creation ist niemals abgeschlossen, sondern formt die künstlerische Praxis fortlaufend. LaTurbo Avedon agiert in Form eines Avatars, in wechselnden Gestalten, meist mit signifikanten kurzen platinblonden Haaren. Während in den vergangenen Jahren die Begriffe Metaverse oder NFT als flächendeckende Catchphrases kommerzialisiert wurden und damit die digitale Kunst aus einer vermeintlichen Nische ins Zentrum der gegenwärtigen Aufmerksamkeit gerückt ist, arbeitet LaTurbo Avedon seit ihren Anfängen ausschließlich im virtuellen Raum. Was irgendwann einmal als Dystopie galt, wird hier zur Utopie umgedeutet.
Der Begriff Avatar stammt ursprünglich aus dem indischen Sanskrit und beschreibt das Herabsteigen einer Gottheit in irdische Sphären. Er wurde in den 1990er-Jahren durch Neal Stephenson in dem ikonischen Science-Fiction-Roman Snow Crash popularisiert und zielt genauso wie der Begriff Metaverse auf die Idee zukünftiger virtueller Social Media. 2020 erstellte Avedon ein Emoji mit dem exemplarischen Titel „Mirror“, das Teil der offiziellen Unicode 13.0 Emoji-Zeichenbibliothek wurde. Eine andere virale Avatar-Influencerin ist Lil Miquela, die als Beispiel für die Normalisierung von virtuellen Stars gelten kann und gemeinsam mit Topmodels wie Bella Hadid für Calvin Klein oder Prada gefeatured wurde: forever 19. Auch der Hologramm-Popstar Hatsune Miku, übersetzt „first sound from the future“, wäre in diesem Zusammenhang zu nennen, ebenfalls forever young. Miku füllt Stadien und Herzen. Die Gemeinsamkeit: Sie agieren alle jenseits von physischen Körpern, erzeugen reale Emotionen, Fantum und Likes. Hinter den Figuren Hatsune Miku oder Lil Miquela stehen jedoch transparente Creator-Teams, deren Erinnerung im Vergleich zu LaTurbo Avedon nicht vor dem Internet enden, sondern ihren Ursprung offenlegen.
Seit 2008 arbeitet Avedon als selbst entworfene Künstlerin und Kuratorin im Internet. Dort entstehen die digitalen Installationen und Simulationen wie der virtuelle Club Rothko oder das Panther Modern, eine File-basierte Galerie. In den multimedialen Arbeiten geht es um die wachsenden Potenziale von nicht-physischer Identität, Autorschaft, sowie wechselnde und fluide Identitäten, die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der technologischen Innovationen der kommenden Web3-Generation. Die Ausstellungen werden auf der Künstlerinnen-Website wie in einem realen CV gelistet. Interviews mit LaTurbo Avedon finden in dunklen Nachtclubs im Second Life statt. Die Journalist:innen werden dabei selbst zu Avataren. Die unterschiedlich verfassten virtuellen Räume zwischen Role Play und Open World wie Second Life, Fortnite (Your Progress Will Be Saved) oder Star Citizen werden zum künstlerischen Material, das Avedon zweckentfremdet und dabei andere Räume innerhalb von bestehenden Systemen und Regelwerken schafft. Diese werden in der physischen Welt, in Galerien und Museen nachgebildet, ganz nach den Entwürfen und Vorstellungen der Künstlerin. LaTurbo Avedon ist eine digitale Manifestation einer Person ohne Erinnerung. (Diese beginnt erst im Internet, ohne einen physischen Ursprung.) Als Avatar werden die Medien zu Geschichte und Erinnerung, die Arbeiten zur Biografie, zum Leben. Ein Innen ohne Außen in Wechselwirkung mit einem Außen. Die klassischen Trennlinien zwischen Künstler*in und Arbeit lösen sich hier auf, denn die Figur ist die Arbeit, deren Ursprung fast wie die Erinnerung an der Schwelle zum Fluss Lethe zurückgelassen wird.
“In the same way that artists in the past are socially known through the works they created, I want to really take ownership of this legacy. Instead of the work paraphrasing the life lived, my work actually is the life that I have had.” [2]
Der Staub von virtuellen Baustellen. Zurück ins MAK, der Titel Pardon Our Dust ist als sprachliches Bild zu verstehen, das schon in den 1990er-Jahren für Websites im Aufbau benutzt wurde. Damit sind aktuelle Entwicklungen und Visionen des Metaverse gleichermaßen angesprochen. Pardon Our Dust ist eine fiktive Welt in Neonfarben, die sich in die Ecken und Kanten des Ausstellungsraumes ausdehnt. Das Vergessen leuchtet aus der Ferne. Das Ausstellungs-Setting wurde in einem virtuellen Abbild des Raumes durch den Avatar selbst geschaffen. LaTurbo Avedon wird diesen Raum niemals betreten. Die Installation strukturiert sich zwischen symmetrisch angeordneten Hoch- und Querformaten, vertikalen und horizontalen Bildern, die eine räumliche Choreografie der synchronisierten Gedanken entstehen lassen. Verschiedene 3D-Landschaften und Bilder werden geformt und lösen sich nebelartig wieder auf. Erinnerung als Simulation. Ein gedichtartiger Monolog hallt als Selbstreflexion durch den Raum. LaTurbo Avedon verhandelt darin das Verhältnis der Dezentralisierung des Internets im Web3 und der Privatisierung von virtuellen Räumen durch Keywords aus dem Jargon der Immobilien-Spekulation im Metaverse.
Der Avatar ist alleine in dieser Welt. In diesem Setting trifft Avedon als animierte Variante ihrer selbst auf. Eingesperrt im Rahmen der vertikalen Screens ist der Monolog der Versuch einer Interaktion mit einem vermeintlichen Außen, ohne Möglichkeit der Interaktion – *„dream come true: a flower left, forever more“ *. Wird jemand irgendwann einem Avatar eine Blume hinterlassen? Vorerst nur in Gedanken. Die Identität von LaTurbo Avedon endet an den Grenzen der virtuellen Räume, die Arbeiten existieren weiter. Allein in den verblassenden Landschafen. Auch wenn es in den vielen Visionen des Metaverse um die Kollektivität der virtuellen Körper geht, entsteht beim Blick auf die Praxis von LaTurbo Avedon der Eindruck von Einsamkeit, sowohl innerhalb der Installation Pardon Our Dust als auch bei den Google-Suchen nach ähnlich arbeitenden Zeitgenoss:innen. Der letzte Avatar im Internet, könnte man sagen. LaTurbo Avedon wartet noch auf die Zukunft.
Zitat aus der Installation Pardon Our Dust, MAK Wien, 22. Juni bis 25. September 2022. ↩︎
https://thecreativeindependent.com/people/laturbo-avedon-on-identity-and-immateriality/ ↩︎