edging—bodies without orgasms
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Klagenfurt. Dieser Einblick ist mit Vaseline beschmiert. Stuhlreihen voneinander entkoppelt, gegen die Gravitation gesetzt. Die Beine fast hilflos nach oben gestreckt. Halboffene Publikationen unter dem Sichtfeld, eingeklemmt unter den Rollfüßen des Displays. Büchertürme. Irgendwas ist aus den Fugen geraten. Aus den Rastern gefallen. Die Röhrenfernseher vom Fundament gerutscht, Blick zu Boden. Ausstellungsartefakte als autonome Entitäten, gegen die Blickraster und Bildschnitte, die Raumecken und Augenkanten, gegen die Erwartung. edging—bodies without orgasms im Kunstraum Lakeside zeigt Arbeiten von Apparatus 22, Albin Bergström, Luca Büchler, Monilola Olayemi Ilupeju und Francis Whorrall-Campbell, kuratiert von Michał Leszuk. In einer Kooperation mit der Ausstellung I am the grass. Let me work, kuratiert von Gudrun Ratzinger im Rahmen des ERINNERUNGS Jahr 2025 LETO SPOMINJANJA, wird diese Gruppenausstellung durch forever more (structural blur), eine ortspezifische Intervention von Julius Pristauz erweitert.

Die Organe werden in der Ausstellung durch Orgasmen ersetzt. Der Begriff edging, der vor dem Bindestrich des Titels steht, beschreibt Techniken einer Orgasmuskontrolle, Praktiken, die sich auch außerhalb des sexuellen Kontextes unter dem Begriff sammeln. Edging als Handlungsmöglichkeit. Anhalten und verzögern. Der Begriff bodies without orgasms lässt sofort Reminiszenzen an das eigene Studium entstehen. Gilles Deleuze in endloser Wiederholung. Im Ursprung ist dieser organlose Körper oder “Körper ohne Organe” ein Begriff von Deleuze und Guattari, der im Rahmen ihrer Schizoanalyse entwickelt wurde. In Erinnerung gerufen via Google-KI bezeichnet dieser eine Art von ontologischer, psychophysischer Realität, die vor der Organisation durch Strukturen und Bedeutungen existiert. Eine Art Potenzialität, jenseits von Zwängen und Konventionen. Ausstellungskonstanten werden theoretisch, durch unterschiedliche formale Entscheidungen an die Wand gefahren. Den Blick durch den ersten Blur.

Alles ist deutlich und undeutlich zugleich. Die Konturen in Veränderung oder Auflösung, wie durch ein Zugfenster. Ein Raum in Bewegung. Schon von draußen, vor der Tür wird hier die Perspektive weichgezeichnet durch Vaseline. Diese raumspezifische Serie Horizon von Luca Büchler, am Eigangsfenster des Kunstraum Lakeside stattfindet, beschäftigt sich mit dem Wesen von Schwellen, die liminalen Übergänge zwischen Innen und Außen, Situationen und Räumen. Die normierten Mechanismen der Ausstellungsproduktion, die kalt ausgeleuchteten Fronten, die ein Innen freigeben und ein Außen formen, werden adressiert und durch diese formale Geste in Veränderung gebracht. Im Inneren scheint das Außen konturenlos. Als Grundlage dient hier Giorgio Agambens Begriff der Geste: „etwas, das die menschliche Existenz bestimmt und doch flüchtig bleibt, ein reines Mittel ohne Zweck und Ausdruck des Prozesshaften“ Der Blick an eine der vielen weißen Wände, auf denen die Dartpfeile sitzen wie schlafende Insektenkörper. Näher. Verborgene Zeichnungen auf den Flügeln des Dart Flight. Gegen die Wand geworfen, ohne sichtbares Ziel. Irgendwohin. Hinter den vier Falten des Darf-Pfeiles erkennt man die skizzenhaften Variationen von männlichen Körperteilen. Die Symbole geformt mit weichem Graphit treffen hier auf die glatte Plastik-Oberfläche des Pfeiles. Ein Gegenspiel. Hinter der letzten Falte das Bild eines minimalistisch gestalteten Pfeiles, die Symbole überlagern sich in ihrer möglichen Deutung. Your Dreams Are Just a Dick Away beinhaltet die Beschäftigung mit historischen und gegenwärtigen Diskursen des Gender-Transitioning, eine Verknüpfung zwischen der Herstellung von künstlerischen Arbeiten und der Gender-Identität, als Reflexion und Interaktion. Die Perspektive verändert sich hier bereits durch die eigene Platzierung im Raum, die Falten als Varianten. Die verschiedenen Arbeiten als ein Lingering im Raum. Woanders: Plastiksäcke mit Popcorn gefüllt, gegen das Wanddisplay gelehnt. Liegen gelassen, irgendwie alienated. Eine Publikation dazwischen, als könnte dieses Setting gerade noch belebt gewesen oder auch nicht, mehrdeutig uneindeutig. Die Arbeit Untitled von Albin Bergström thematisiert damit die Räume und Atmosphären des schwulen Cruising-Kinos der 1970er und 80er Jahre, die vor allem im Verborgenen stattfanden. Die Objekte, die in Gedanken die Form eines Polsters annehmen könnten, eine biographische Reminiszenz des Künstlers an eine formähnliche Begegnung in London nachzeichnet. Die eingefallene Form wie ein Leichensack, der etwas zum Verschwinden bringen soll oder möchte. Zwischen Präsenz und Absenz. Spuren und Speicher. Der Abdruck einer Geste, einer menschlichen Kontur wird hier nicht visualisiert, sondern in seiner Auslassung gezeigt .„Die Vertiefung in dieses Projekt entzieht sich eines ausschließlichen Fokus auf seinen Bedeutungsgehalt; stattdessen wird die Aufmerksamkeit auf die ihm innewohnenden Potenziale gelenkt, die Intensitäten, die es überträgt oder eben nicht überträgt, die Mannigfaltigkeiten, die es birgt und transformiert, und auf die Annäherungen, die es mit anderen organlosen Körpern erreicht.“ heißt es im curatorial statement von Michał Leszuk. Wieder hinaus auf die Rückseite ohne Konturen. Im Lakeside Science & Technology Park trifft man auf die Arbeit forever more (structural blur) von Julius Pristauz, eine ortsspezifische Intervention im Rahmen von I am the grass. Let me work ERINNERUNGS Jahr 2025 LETO SPOMINJANJA. Eine Erinnerung an diejenigen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung vom NS-Regime in Kärnten verfolgt wurden, genauso wie die anhaltende Diskriminierung von Menschen jenseits der Norm. Im Setting dieses Wissenschafts- und Technologieparks stellt die Arbeit normierte, gleichsam überholte Wissenssysteme in Diskurs. Eine Gruppe aus Laternen, stehen als subtil geformte Reminder im Park verteilt. In der Form so wie alle anderen. Aufgestellt jenseits der Wege, im Daneben, inkooperiert die Intervention Potenziale zwischen Funktion und ihrer Auflösung in einem Körper, als Objekt. Am Tag erkennt man hinter dem Milchglas nach dem zweiten Blick einen subtilen Farbverlauf. Erst wenn die Sonne vergeht, zeigt sich das Licht der Arbeit wie eine Art Störung, als Glitch aber auch als Spektrum. Eine drängende Anwesenheit im Schatten der Fassaden.
Fotos: Johannes Puch
(Erschienen in Springerin 03/25, Issue: WANDALA–postkoloniale Aushandlungen)