Flickering, Lingering, Exiting - Ayman Safoğlu, Rehena Chachage, Serena Lee

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Wien. Hoch über den Touristenströmen, auf Augenhöhe mit der noch bleichen Weihnachtsbeleuchtung des ersten Bezirks in Wien befindet sich die VBKÖ im vierten Stock. Bereits der Standort erzählt seine eigene Geschichte. Die Eingangstüren sind bereits geöffnet. Der Geruch von Vanille. Flickering, Lingering, Exiting ist der Titel der aktuellen Gruppenausstellung von Aykan Safoğlu, Rehema Chachage und Serena Lee, die sich in zwei Räumen verteilt. Im Vorraum trifft man auf ein Regal mit Publikationen, die den thematischen Fokus der Institution visualisieren. Ein kurzer Blick auf die Geschichte des Ortes, eine Geschichte einer Refiguration. Die Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreich (VBKÖ) wurde 1910 gegründet und nahm es sich von Beginn an zur Aufgabe, die Sichtbarkeit von Künstlerinnen in ökonomischer und repräsentativer Hinsicht zu verbessern. Die VBKÖ verkörpert eine zentrale Anlaufstelle früher Künstlerinnenbewegungen in Wien. Die Geschichte der VBKÖ thematisiert die Komplexität einer linearen Geschichtsschreibung am eigenen Beispiel, anhand der eigenen Vergangenheit und der Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Regime und dessen Aufarbeitung bis heute. Inzwischen bietet das VBKÖ Raum für feministische Kunst, fördert Experimente sowie politische und aktivistische Arbeit, schafft Verbindungen zwischen historischer Auseinandersetzung und zeitgenössischer queerer Kunstproduktion. Die inhaltliche Ausrichtung der Vereinigung änderte sich Ende der 1990er-Jahre, vorangetrieben durch einen Generationenwechsel im Vorstand. Vergangenheit in Veränderung. Im Jahr 2004 wurde das Archiv der Vereinigung gegründet, dessen Bestand von Künstlerinnen zusammengestellt wurde. Es beinhaltet einen Materialbestand an Dokumenten und Ausstellungskatalogen über die Zeitspanne der Gründung bis 2005 und ist nach vorheriger Vereinbarung zugänglich. Seit 2012 wird durch verschiedenste Projekte der Versuch unternommen, die historischen Inhalte des Archivs neu zu betrachten, als eine Arbeit gegen das Vergessen. Aktuell wird der Verein von Brishty Alam, Susana Ojeda, Denise Palmieri, Mika Maruyama und Mzamo Nondlwana als Kollektiv geleitet.

Zurück in die Gegenwart und zur Ausstellung Flickering, Lingering, Exiting. Im ersten Raum treten zwei künstlerische Positionen in Dialog, die von Rehema Chachage und Serena Lee. Die Installation Notes on Baking (A recipe of coming together) von Rehema Chachage lässt textile Sheets wie Notizzettel hintereinander im Raum hängen. „Bibis Cake – A cake that never spoils“ als Überschrift am Deckblatt. Durch den Hintergrund lässt sich eine Partitur erkennen. Am Boden unter den textilen Layers des Rezeptes formt sich eine Kontur aus Fischgrätparkett, Assoziationen an ein mögliches Zuhause. Ein Stück Raum im Raum. Im Zentrum der Installation steht ein Diffuser, der Geruch von Vanille lässt sofort an die eigene Oma denken, an das schon lange verlernte Backen. Der Zugang von Rehema Chachage lässt sich als eine erweiterte Praxis der prozessbasierten Forschung durch ihre Mutter und Großmutter bezeichnen, „performative Archive“, die Geschichten, Rituale und andere orale Traditionen durch verschiedene Medien zugänglich machen. Ein Rezept für Zweisamkeit als eine Praxis des Miteinanders, als Archiv des Wissens, als Speicher. Hinter den Worten verbirgt sich mehr als nur ein Kuchen, er stammt von der eigenen Großmutter Bibi Mkunde. Die Hausarbeit wurde in der Kolonialzeit in Tansania zur Strategie des Überlebens. Hinter den einfachen Worten und Mengenangaben eines Rezepts zeigt sich die Biografie als persönliches Archiv der Geschichte einer Familie und der Migration. Durch die Layers des Rezepts fällt der Blick auf die Arbeiten von Serena Lee. Über den Fensterausschnitt haben sich textile Drachen gelegt, fast so, als wollten sie etwas verbergen oder sich vor dem Licht versammeln wie Motten. Verschiedene Farben, Materialien, Cut-outs. Drachensteigen ohne Bewegung. Kite Library ist ein laufender kollektiver Werkzyklus, der im Rahmen des Workshops Floating Resistance, organisiert von der Work Hard! Play Hard! Arbeitsgruppe in Warschau im Juli 2024, angefertigt wurden. Die Drachen sind durch Wäscheklammern, Draht und Schnüren miteinander verbunden, formen einen Moment der Gemeinschaft. Ihre Praxis ist genauso wie die der anderen Künstler*innen durch intergenerationale Dialoge, kollaborative Prozesse sowie Geschichte und Erinnerungen der Diaspora geprägt.

Durch den Vorraum ein paar Schritte weiter in den nächsten Raum. Der Kurzfilm Hundstern steigt ab von Aykan Safoğlu beschäftigt sich mit der eigenen, autobiografischen Entwurzelung zwischen der Türkei und Deutschland. Zerschnittene Fotos, Selfies und Scans aus Notizbüchern als Timeline der Rekonstruktion von Erinnerung, Identität und Begehren. Manche davon mit Tixo verklebt. Swipen von links nach rechts. Erinnerungen an die Sommerferien damals, die er mit seinen Eltern auf der nordägäischen Insel Imbros verbrachte als Erzählung aus dem Off. Fragmente aus dem Archiv von Familienfotos werden durch die Ein- und Durchschnitte rekonstruiert. „The Fact that my whole family spoke German in my dreams“ und der Wunsch „that we soon be dreaming in German“. „More income, better life.“ Seit der eigenen Migration aus der Türkei nach Deutschland im Jahr 2008 beschäftigt sich Aykan Safoğlu mit der Verhandlung von migrantischen Bildern und Strukturen von Macht. Die Bilderstreifen als Reste über den Schuhsohlen als Timeline organisiert, die sich kontinuierlich nach vorne bewegt. Hundstern steigt ab ist eine Erzählung von vorne nach hinten und wieder zurück. Aykan Safoğlu wurde kein abgefuckter CEO oder Politiker mit Abschluss, so wie es irgendwann mal imaginiert wurde, und das ist auch besser so.

Flickering, Lingering, Exiting zeigt unterschiedliche Formen der Wissensproduktion, jenseits von reinen Fakten und Fiktionen. Strategien der Gemeinsamkeit formulieren sich als Dialoge zwischen Generationen, Erinnerungen und physischen Medien. Künstlerische Praktiken des Sammelns und Auflösen, des Formens und Dekonstruieren, des Fragens und Neuformulierens treffen aufeinander. Wieder einen neuen Ort gesehen in einer Straße, die man täglich passiert, ohne genauer hinzusehen.

Ayman Safoğlu, Rehena Chachage, Serena Lee
Flickering, Lingering, Exiting
10. Oktober bis 16. November 2024
VBKÖ – Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs, Wien

(Erschienen in Springerin 04/24, Issue: Climate Dignity)