Electric Indigo (Homestory)
zurück.Seit über 30 Jahren ist sie als Dj, Musikerin und Komponistin aktiv, bewegt sich zwischen den Welten, zwischen Zugänglichkeit und Konfrontation. In den 90er Jahren begann sie Musik zu machen, verfolgte seitdem diesen Weg hauptberuflich weiter. Zwischen Wien und Berlin. Die Arbeit im legendären Hard Wax Recordstore in Berlin, bildete einen wesentlichen Grundstein, der die Blickwinkel und Einstellungen auf die Musik prägte. 1989 gründete sie das Netzwerk female:pressure. Ein Stimmungsbild einer Künstlerin ausgehend von einem Gespräch mit Ada Karlbauer mit Gedanken über ihre Gesamtwerdung, Erwartungshaltungen am Dancefloor, die bewusste Navigation der endlosen Möglichkeiten, die aktuellen Ergebnisse des FACTS Survey von female:pressure und das Schrumpfen von Zeit im Rückblick.
Electric Indigo lebt zwei Welten nebeneinander, verbindet diese miteinander. In jeder steht ein anderer Aspekt im Fokus. Ein Changieren zwischen Erwartungshaltung und Experiment. Das Überschneiden dieser beschreibt Electric Indigo als ein zentrales Spannungsfeld ihrer künstlerischen Arbeit. In der kleinen Küche erzählt die Künstlerin über gegenwärtige Entwicklungen.
“Erst in den letzten wenigen Jahren habe ich das Gefühl, dass diese beiden Zweige meiner Tätigkeit langsam zusammenkommen und konvergieren. Von beiden Seiten aus betrachtet: vom Produzieren her, als auch vom Auflegen. Es fühlt sich an wie eine Gesamtwerdung von etwas, das eigentlich zusammengehört, meine Identität bildet. Dieser Prozess kommt daher, dass ich mir beim Auflegen mehr Freiheiten nehme und beim Musik produzieren langsam besser werde. Trotzdem gelingt es mit einfach nicht einen klassischen “Banging” Techno Track zu machen.” meint Susanne lachend. “Ich kann das ja sehr gut auflegen und ich finde diese Tracks relativ berechenbar, das macht auch Spaß. Beim Produzieren selbst krieg ich dann aber den Klang so nicht hin und muss gestehen, dass ich auch keinen besonderen Ehrgeiz habe es genauso zu imitieren, denn es gibt eh schon so viel das genauso klingt. Jedes Mal wenn ich dran bin, ist meine Aufmerksamkeit sofort auf anderen Aspekten der Musik. Manchmal wurmt es mich dann trotzdem“, erzählt sie über die Dichotomien, die sich an manchen Stellen auftun. “Ich möchte keine ganz monotonen Stücke machen, da wird mir selbst fad dabei. Für manche ist es verstörend, dass ich banging auflege und gleichzeitig Stücke veröffentliche, die nur sehr schwer einzuordnen sind. Was sollen die Leute dann erwarten?” Wenn ich zum Dancefloor hingestellt werde, spiele ich natürlich auch was zum Tanzen und kein listening Set. Ich hätte aber manchmal gerne, dass alle soviel von mir wissen, dass sie das checken. Es gibt ein Potenzial, dass Leute regelmäßig von mir enttäuscht werden, aber ich kann halt nicht aus meiner Haut“.
“Als Dj spiele ich meist eher darken, abstrakten Techno” erzählt Susanne Kirchmayr, “obwohl ich garnicht weiß was nicht abstrakter Techno eigentlich sein soll,” fügt sie hinzu. “Das Eigenschaftswort “abstrakt” vermittelt in diesem Zusammenhang ein Bild das ganz gut passt. Ich spiele keine signalbeladene Musik, mit der Leute dazu gebracht werden sollen auf eine bestimmte Art und Weise zu reagieren. Ich mische lieber vertrackte mit geraden Sachen und versuche durch eine eher experimentelle Version von Techno die Leute zum Tanzen zu bringen.” fasst sie ihren künstlerischen Ansatz als Dj zusammen. “Ich mag grundsätzlich experimentelle Musik, atmosphärische und noisige Musik. Manchmal habe ich auch die Möglichkeit solche Sets zu spielen, da mische ich dann gerne weirden D’n’B mit schönem Ambient- Sachen, so richtig freestyle aber trotzdem elektronisch.
Als Musikerin bin ich eher auf der experimentellen Seite zuhause und spiele sehr gerne live, auch in Form von audiovisuelle Sets, bei denen ich die visuelle Seite auch selbst gestalte. Ich experimentiere dabei gerne mit Farbe, denn auch in meiner Musik spielt die Farblichkeit eine große Rolle. Beim Produzieren gehe ich gerne von einer sehr konkreten, stark begrenzten Idee aus um so ein neues Werk oder Stück zu entwickeln, das hilft mir die endlosen Möglichkeiten zu navigieren. Eine Art absichtliche Beschränkung als inhaltlicher Ansatz. Eine Idee die streng befolgt wird. 2012 habe ich ein Stück komponiert, dass nur aus Sprachaufnahmen bestand. Das war das einzige Ausgangsmaterial und da kam dann in Folge auch Nichts mehr dazu.” Ein bildhaftes Beispiel von vielen Möglichkeiten.
Electric Indigo interessiert sich für die merkwürdigen Details, weirde oder manchmal groteske Kleinigkeiten in der Musik, auf die der Blick fällt, oder manchmal vorbeigeht. Eine ständige Suche nach dem strangen, das sich hinter den Sounds verbirgt. Es geht um das Eintauchen und Versinken, das hypnotische Potenzial dieser Elemente.“ Ich verstehe natürlich, dass das nicht sofort für jeden total umwerfend klingt und Begeisterungsstürme auslöst”, meint sie lachend.
Die Schallplatten türmen sich trotzdem neben dem Gespräch. Ansätze von Reduktion und Beschränkung ziehen sich durch die gesamte Arbeit der Künstlerin.”Beim Musikmachen brauche ich einen freien Rücken, da darf nichts anderes anstehen. Ich brauche ein bisschen Muße und ich muss mich hineinversenken können. Das passiert leider zu selten, vor allem in den letzten Monaten, weil immer andere Projekte anstehen. Zwischendurch mal für 20 Minuten schnell was produzieren ist eher unbefriedigend. Eines dieser großen Projekte ist aktuell vor allem für female:pressure wie der “Facts Survey” der gerade herausgekommen ist.” Bei diesem werden die Line-Ups von elektronischen Musikfestivals analysiert. Es kommt etwa alle zwei Jahre heraus. “Wir können auf Zahlen von 10 Jahren zurückschauen und vergleichen, das ist super interessant, aber die Arbeit ist nicht bezahlt und mache sie deshalb in meiner Freizeit, das ist schon ein Brocken. Ein weiterer großer Brocken der ansteht ist, dass wir die female:pressure Datenbank und die Website neu programmieren. Es ist viel Detailarbeit, je aufmerksamer man auf die kleinen Details blickt, desto tiefer und endloser wird das Ganze.“
Ein kurzer Blick auf die Ergebnisse des aktuellen FACTS Survey: “FACTS 2022 reveals a rise in the proportion of female acts from 9.2% in 2012 to 26.9% in 2020–2021. The data on non-binary artists shows an increase from 0.4% to 1.3% from 2017 to 2021. Conclusion: We see a slow but steady rise in female and non-binary acts in electronic music festivals over the past decade. However, with female and non-binary acts comprising only a little over a quarter of all artists booked, there is still a significant imbalance in gender representation on electronic music festival stages today.”
“Worauf ich so stolz bin beim FACTS Survey ist, dass dieser so sorgfältig und umfangreich gemacht ist und sehr konstruktiv ist. Wir haben ein großes Kapitel, das wir „Points of Action“ nennen, wo wir für alle möglichen Gruppen, die die elektronische Musik-Szene ausmachen, Punkte auflisten, was sie machen können um die Szene zu diversifizieren. Ein großes Kapitel war die Repräsentation von Race & Ethnicity in Electronic Music. Wir haben dafür einige Interviews geführt mit Members of Colour über das female:pressure Netzwerk und das wiederum zusammengefasst. Das Projekt ist einfach sehr umfangreich und geht weit über das Lineup zählen und analysieren hinaus. Ich bin sehr stolz auf diese kollektive Arbeit”, fasst Susanne die aktuellen Entwicklungen von female:pressure zusammen. „Je mehr es davon gibt, desto besser. Es gibt Menschen die Kollektive betreiben und dann nicht wollen, dass es noch andere gibt, die zu einem ähnlichen Thema arbeiten und die dann schneiden und ignorieren, das ist für mich total unverständlich.“
Es folgen Gedanken zu den letzten zwei Jahren der Pandemie. “Tatsächlich habe ich viele Leute kennengelernt, die ich ohne Pandemie nicht kennengelernt hätte. Vor allem die Plattform Currents FM wo ich mittlerweile auch am Artist Board bin, war ausschlaggebend. Da gab es speziell Online-Events mit dem Titel “Common” und dort habe ich mit, aber auch unabhängig von female:pressure regelmäßig teilgenommen. Das war total super, es waren „Planets“ benannte virtuelle Räume, die alle über diesen einen Common Punkt “Currents FM” zugänglich waren. Es gab überall Chat Rooms, und das waren die diversesten Line-Ups die ich je erlebt habe, weil sie aus so vielen unterschiedlichen Teilen der Welt gespielt haben. So habe ich beispielsweise auch Einblicke in die tolle Szene von Nairobi bekommen, das wäre sonst vermutlich nicht passiert. Das war einfach mindblowing. Bei Common gab es auch Chatrooms, das heißt man schaut nicht nur in den Computer, sondern trifft sich mit Leuten. Das letzte Editions Mego Event war auch über Common. Natürlich ist es etwas ganz anderes als ein Festival im physischen Raum. Ich finde aber nicht dass das eine das andere ersetzen soll, sondern als eine zusätzliche Dimension dienen soll. Notgedrungen haben sich da Türen geöffnet und das war ganz schön!“
Anhaltslos den Zeitbrei entlangzurasen, empfindet Electric Indigo rückblickend als komisch. “Immer wenn wenig passiert, schrumpft die Zeit im Rückblick. Was bemerkenswert und gut ist, ist dass alle Clubs in dieser Zeit ihre Anlagen und Dj-Equipment aufgefettet haben. Da stehen jetzt die neuesten Player, die ich total liebe, denn ich bin ein großer Fan von digitalem Auflegen. Da merkt man einfach, dass öffentliche Gelder eingeflossen sind, das ist schön. Die Frage ist nur wie langlebig das Ganze ist, gibt es einen Punkt an dem allen das Geld ausgeht und der Scheiß Krieg in der Ukraine ist auch total destruktiv. Wie lange bleiben angesichts so einer Gegenwart die Clubs voll und bei welchem Programm?“, reflektiert Electric Indigo die Vergangenheit im Stillstand und Gegenwart in Brüchen. „Es gibt eine Generation die war noch nie im Club, könnte aber schon längst ausgehen. Es ist alles sehr weird. Im Moment bin ich aber noch nicht pessimistisch was das betrifft. Ich sehe noch nicht alles den Bach runtergehen, aber vielleicht kommt das noch”, schließt Electric Indigo lächelnd.