Chiara Bartl-Salvi (Interview)
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TEIL 5 – Chiara Bartl-Salvi
In unserer neuen Gesprächsreihe COLLIDE stellen wir Nachwuchskünstler: innen der österreichischen freien darstellenden Kunstszene vor. Diese Porträts veranschaulichen, wie eine junge Generation von Künstler:innen mit den heutigen Verhältnissen in der freien darstellenden Kunst umgeht und was sie diesen entgegenzusetzen hat. Wie lässt sich Neues denken? Wie sich in institutionellen Rahmenbedingungen behaupten? Und was will erzählt werden?
Im fünften Teil dieser Gesprächsreihe trifft die freie Kunst- und Kulturautorin Ada Karlbauer auf die Künstlerin, Choreographin und Performerin Chiara Bartl-Salvi. Hier spricht sie von ihrer Faszination für Drehbühnen als soziale Interaktionsspielfelder, den maßgeblichen Einfluss von Popkultur auf ihre Bewegungspraxis und die Stärke der kollaborativen Zusammenarbeit.
Ein Raum in Rotation. Eine Plattform umkreist sich selbst, wird umkreist, umkreist andere. Sechs Ecken. Drei Performerinnen. Eine Drehbühne bestimmt den Blick, die Konturen, die Verhältnisse, das Ausmaß – Szenen aus dem letzten Stück What remains for us but linger?, das im Februar 2024 im WUK Wien uraufgeführt wurde. Das Stück vereint einige deiner zentralen Themen: die Verbindung von Sound und Bewegung, den Loop, das Verweilen, die Wiederholung, die (Ko-)Autorenschaft, sowie das Betrachten und
Verhandeln der Gegenwartskultur. Erzähl uns ein wenig mehr über das Stück, die Idee und deine künstlerische Praxis.
Die mobile Dreh- und Hubskulptur ist der Schauplatz der Performance What remains for us but linger? (2019–2024). Diese Dreh- und Hubskulptur wurde über einen Zeitraum von vier Jahren im Kollektiv erarbeitet und 2022 fertiggestellt. Sie besteht aus einer sechseckigen Plattform, kann sich um ihre eigene Achse drehen – auf- und abfahren. Die Choreografie wurde unter Berücksichtigung der motorischen Möglichkeiten der Skulptur entwickelt, in der drei Performerinnen – Elena Francalanci, Rebecca Rosa Liebing und ich selbst – mit der Bühne interagieren,
diese live mit einem PlayStation Gaming-Controller steuern. What remains for us but linger? veranschaulicht zum einen das lange Warten, das mit der Entwicklung des Projekts während der Pandemie einherging, die Herausforderungen bei der Beantragung
von Fördermitteln und der Beschaffung von Materialien während der Hochphase der Pandemie. Zum anderen behandelt die Performance das Verweilen und den Prozess einer gegenseitigen Annäherung dreier Performerinnen in ihrem rotierenden Zuhause, ihre Routinen, Interaktionen und individuellen Geschwindigkeiten. Verschiedene Realitäten und Utopien existieren dabei simultan nebeneinander und durchmischen sich immer weiter. Mit der Arbeit möchte ich dazu einladen, über die Dynamik zwischen Körpern und Räumen, über die Wechselwirkungen zwischen Bewegung und Klang sowie über die Überwindung von Grenzen nachzudenken. Die Interaktion zwischen den Performerinnen und
der Dreh- und Hub-Skulptur gestaltet sich in drei Phasen. In der ersten wird die 18 Skulptur rein durch die Kraft der Performerinnen angetrieben. Diese Phase verdeutlicht die direkte physische Kontrolle und die Interaktion der Performerinnen mit ihrer Umgebung. In der zweiten wird die Skulptur von den Performerinnen über einen Gaming Controller gesteuert. Diese Phase markiert eine Veränderung hin zu einer technologisch vermittelten Interaktion. In der dritten Phase zeigt die Skulptur eine Choreografie, die zuvor auf den Controller geladen wurde.
Diese Phase betont die Verschmelzung von menschlicher Kontrolle und automatisierten Prozessen – die Performerinnen behalten zwar immer die Kontrolle über das Gerät, jedoch auf eine Weise, die durch das Programm vordefiniert ist.
Im Zentrum von What remains for us but linger? steht diese performative Dreh- und Hubskulptur, die fast eine Tonne wiegt. Andere Arten von Drehbühnen sind bereits in vorherigen Performances eingeflossen. Was interessiert dich daran?
Durch mein Kunststudium an der Akademie der Bildenden Künste Wien bin ich an klassischer Bühnentechnik und deren mechanischen Charakteristika interessiert, insbesondere an Drehbühnen und deren historischer Entwicklung. Ich habe gelesen, dass es im Volkstheater Wien noch bis in die 1980er Jahre eine Drehscheibe gab, die manuell von Bühnenarbeiter: innen bewegt wurde. Drehbühnen wurden entwickelt, um einen schnellen Bühnen- und Szenenwechsel zu ermöglichen. In meiner Diplomarbeit What else can we do but play? (2021) dient beispielsweise ein Kinderkarussell als Fundament und Bewegungsmechanismus für eine Drehbühne. Diese Performance
begründete sich auf der institutionellen Unabhängigkeit, die sich durch die Covid-19-Lockdowns und den damit verbundenen Einschränkungen ergeben hat. Somit musste ich mich auf unsere Bewegungsmöglichkeiten im städtischen Umfeld konzentrieren und bin am Spielplatz als Begegnungszone und sozialem Erfahrungsraum, in dem Kinder ihre Körperwahrnehmung, ihre motorischen Fähigkeiten und ihr Sozialverhalten erkunden, fündig geworden. Mit einer mobilen Plattform aus Aluminium habe ich das
Kinderkarussell im Weghuberpark in Wien zu einer Drehbühne transformiert und zum Schauplatz meiner Performance gemacht. Das Karussell befindet sich direkt gegenüber vom und mit Blick auf das Volkstheater. Eine schöne Referenz. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits den fertigen Entwurf und Plan der mobilen Dreh- und Hubbühne für die Performance What remains for us but linger? , die ich ursprünglich als meine Diplomarbeit umsetzen
wollte, deren Produktion aufgrund von COVID-19 aber erschwert war. Somit hat das Karussell schließlich als ein Dummy dafür gedient. In _What remains for us but linger? _ist die mobile Dreh- und Hubskulptur ebenso interaktiv, jedoch weit komplexer und
physisch anspruchsvoller als ein Kinderkarussell auf einem Spielplatz. Es war mir sehr wichtig, dass wir Performerinnen stets die Kontrolle über die Dreh und Hubskulptur behalten. Daher standen für mich die drei Phasen der Interaktion zwischen den Performerinnen und der Dreh- und Hubskulptur mittels live Steuerung immer im Mittelpunkt der dramaturgischen Entwicklung des Stücks.
Eine der Hauptcharakteristika deiner Arbeiten ist die Verbindung unterschiedlicher Bewegungsmaterialien, die auf den ersten Blick ein Gegenbild erzeugen. Elemente aus dem klassischem Tanz wie das Steppen treffen auf Abläufe der Popkultur, dem Internet und aus ikonischen Musikvideos. Geht es hier um eine Gegenüberstellung von Hoch-, Pop-, und Gegenkultur?
Meine Performance 1,2 Step (until the loop ends) nutzt den Steppschuh als Ausgangspunkt des choreografischen und klanglichen Materials. In dieser Arbeit befasse ich mich mit Fragen von Reproduzierbarkeit, Autor:innenschaft und viralen Trends in
der heutigen Medienlandschaft. Genauer interessiert mich, wie Bewegungen und Sound in diesem Kontext reproduziert und interpretiert werden. Die Bewegungen zitieren Musikvideos von Popküstlerinnen und TikTok- Choreografien von User:innen, die
Popstars imitieren. Wer ist nach der tausendsten Wiederholung und den ebenso vielen individuellen Verschiebungen noch Autor:in einer Choreografie? Ich lasse mich von Musikvideos, Live-Performances und Sounds verschiedener Künstlerinnen inspirieren, insbesondere von jenen, deren Arbeit ich seit
Jahren verfolge. Dabei stehen für mich Künstlerinnen wie Beyoncé im Mittelpunkt, die mich aufgrund ihrer präzisen und gleichzeitig kraftvollen Bewegungen sowie ihrer starken Verbindung mit Rhythmus zweifellos inspiriert. Die Integration traditioneller Tanzformen in die Popkultur, etwa Flamenco, wie bei der Musikerin und Künstlerin Rosalía, finde ich besonders bemerkenswert. Durch diese Verbindung schafft sie nicht nur eine Brücke zwischen der
Vergangenheit und der Gegenwart, sondern auch zwischen verschiedenen kulturellen Welten. Auch Künstlerinnen wie FKA Twigs, Britney Spears oder die Pussycat Dolls haben auf ihre jeweils eigene Weise die Popmusiklandschaft und mich geprägt.
Meine Arbeiten zielen nicht unbedingt auf eine Gegenüberstellung von Hoch-, Pop- und Gegenkultur ab, sondern vielmehr auf eine Synthese dieser Elemente. Ich möchte zeigen, wie traditionelle Tanzformen und zeitgenössische Popkultur sich gegenseitig bereichern und neue Bedeutungen schaffen können. Durch das Mischen von Elementen aus dem klassischen Tanz mit der Popkultur und viralen Internettrends hinterfrage ich die Grenzen und Übergänge zwischen diesen Welten.
Wie würdest du den Weg zu deiner aktuellen künstlerischen Praxis nachzeichnen? Gibt es so eine klassische Backstory?
Ich würde sagen, mein Weg zu meiner aktuellen künstlerischen Praxis ist tatsächlich eine klassische Backstory. Als ich sehr jung war, hat mich meine Mutter zweimal in der Woche zum Tanzunterricht gefahren. Dort habe ich Ballett und Jazzdance gelernt. Jedes Jahr gab es eine Aufführung, wodurch ich schon
früh Bühnenerfahrung sammeln konnte. Später habe ich dort angefangen, Kinder im Alter zwischen acht und zehn Jahren zu unterrichten und mit ihnen meine ersten eigenen Choreografien einzustudieren. Diese Choreografien wurden dann bei diesen jährlichen Aufführungen präsentiert. Meine erste Choreografie,
die ich den Kindern beigebracht habe, war zum Track Super Bass von Nicki Minaj [lacht]. Während dieser ersten beruflichen Erfahrung war ich auch Teil des Tanzfachs am musischen Gymnasium in Salzburg. Dort gab es jedes Jahr die „Tryouts“, ein
choreografisches Format, bei dem man eine Choreografie erarbeiten und sie auf der großen Bühne der Arge Kultur vor Publikum präsentieren musste. Für meine Abschlussarbeit habe ich mit den beiden SEAD-Performern Alexandros Greco und Luis Garcia gearbeitet. Das war das erste Mal, dass ich mit zwei
professionellen Tänzern zusammengearbeitet habe und diese Erfahrung hat meine künstlerisch-choreografische Entwicklung 20 stark beeinflusst.
Sound wird sichtbar, Bewegung wird hörbar. Das Verhältnis zwischen Sound und Bewegung, sowie dessen Vermittlung ist in deinen Arbeiten stets vorhanden.
Mein künstlerischer Ansatz vereint Bewegung und Klang zu einer symbiotischen Beziehung, die verschiedene Tanzstile und Klänge bewusst miteinander verbindet. Ich möchte in meinen Performances dazu einladen, diese Beziehung, die nicht nur im Bereich der Choreografie, sondern auch im alltäglichen Leben als selbstverständlich erscheint, zu hinterfragen. Seit Jahren beschäftige ich mich intensiv mit dem Steppschuh als Medium und klangerzeugender Körper- Prothese. Dieser fungiert dabei als Vermittler, der Bewegung unmittelbar mit Klang verknüpft und so
eine physische Verbindung – eine Synthese von Bewegung
und Sound – herstellt. Üblicherweise nehme ich den Sound zuerst auf, steppe einen Rhythmus ein. In Zusammenarbeit mit meinem Soundpartner Paul Ebhart, mit dem ich schon lange zusammenarbeite, wird dieser Rhythmus dann im Studio aufgenommen. Sobald ich eine Bewegung dazu erarbeitet und ein paar Kanons ausprobiert habe, arbeitet Paul diese in den Ausgangs- Rhythmus ein. Dazu entsteht meist auch ein an Popsongs orientierter Track, bei dem ich selbst singe. Dieser wird dann von Paul Ebhart oder Titus Probst aufgenommen. Bei meinen Performances singe ich diesen live und / oder er wird mit einer Loopstation wiederholt. Bei meinen Performances ist der Loop auch deshalb zentral, weil dieser die einfache Möglichkeit bietet, aus einer Einstimmigkeit eine Mehrstimmigkeit entstehen zulassen.
Deine Praxis umkreist auf unterschiedlichsten Ebenen auch das Thema der Kollaboration. Die Zusammenarbeit mit befreundeten Künstler:innen ist wesentlich in Form von Bühnenbild, Licht, Sound, Fotografie etc. Was ist der Vorteil an so einem Pool?
Die Zusammenarbeit im Kollektiv mit Friends bringt echt viele Vorteile mit sich. Die mobile Dreh- und Hubskulptur ist ein Beispiel dafür, wie eine gemeinsame Vision durch die individuelle Expertise und technische Fertigkeiten befreundeter Künstler:innen
realisiert werden kann. So eine kollaborative Herangehensweise
bereichert nicht nur das Endprodukt, sondern fördert auch das kreative und persönliche Wachstum aller Beteiligten. Außerdem hat man einfach eine gute Zeit zusammen. Ich möchte besonders
Patrick Winkler, Alba Rastl, Arno Gitschthaler und Felix Huber erwähnen, die gemeinsam mit mir an der Konzeption der Dreh und Hubbühne gearbeitet haben. Arno Gitschthaler und Felix Huber
waren für die technische Umsetzung und Betreuung zuständig, während ich die Projektleitung, Choreografie und Regie der Performance übernommen habe. Elena Francalanci, Rebecca Rosa Liebing und ich selbst waren die Performerinnen, und Paul
Ebhart kümmerte sich um den Sound. Das Bühnenbild wurde von Lukas Gschwandtner, Alba Rastl und Patrick Winkler gestaltet, Oskar Ott übernahm die Lichtgestaltung, und Ada Karlbauer schrieb den Text. Besonders dankbar bin ich für die Unterstützung
von Elena und Rebecca, Patrick und meinem ehemaligen Mentor Michikazu Matsune, dessen Feedback und Hilfe von unschätzbarem Wert waren. Auch Andreas Fleck, dem Leiter von WUK Performing Arts, möchte ich für die Einladung danken.
Die junge Performanceszene finanziert sich überwiegend durch staatliche Förderungen. Zu- und Absagen lösen einander ab. Gestaltet das Budget das Resultat?
Zu- und Absagen gehören zur Realität und ich erlebe oft mehr Absagen als Zusagen. Das kann sehr frustrierend, ermüdend und traurig sein, not gonna lie … Trotzdem denke ich, dass das Budget nicht die Qualität beeinflusst, sondern vielmehr das Ergebnis
der ursprünglichen Projektidee. Oftmals führt eine Absage dazu, dass die Projektidee verändert werden muss. Man wird flexibler und anpassungsfähiger. Auch wenn auf den ersten Blick ein begrenztes Budget Einschränkungen mit sich bringt, kann es
gleichzeitig kreative Lösungen und innovative Ansätze hervorbringen. Letztlich ist es die Fähigkeit und Herausforderung, innerhalb der gegebenen Mittel das Beste aus einem Projekt herauszuholen, die die Qualität und das Resultat der Arbeit bestimmt.
Arbeitest du aktuell an etwas Neuem?
Ja, 2025 werde ich bei Rakete in den TQW-Studios eine neue Arbeit präsentieren. Ich wurde von Lewon Heublein eingeladen, und es ist für mich ein großer Traum, meine Arbeit auf diesem Festival, das ich seit Jahren intensiv verfolge, zeigen zu dürfen. Ich werde wieder mit Elementen aus vergangenen Performances arbeiten. Der (Stepp-)Schuh wird erneut in einer abgewandelten, spektakuläreren Form eine Rolle spielen. Leon Leder/Asfast wird den Sound gestalten und jetzt beginne ich, mich auf den kreativen und choreografischen Prozess einzulassen.
Was sind deine Gedanken zur eigenen künstlerischen Praxis anlässlich des aktuell ausgerufenen Brat Summer, in dem TikTok-Tänze wie zum Track Apple von Charlie XCX omnipräsenter sind als jede Form von performativer Kunst?
Den aktuellen Brat Summer finde ich schon gut [lacht]! Die viral gehenden TikTok-Tänze repräsentieren für mich irgendwie eine Form der zeitgenössischen digitalen Video-Re-Performance, die schnell, zugänglich, leicht reproduzierbar und stark vernetzt
ist. Diese Art ist weitreichend, was auch neue Möglichkeiten
für künstlerische Ausdrucksformen eröffnen kann. Mir geht es nicht nur darum, diese neuen Entwicklungen zu beobachten, sondern sie auch in die eigene Arbeit zu integrieren und sie als Teil eines größeren Dialogs zu begreifen. Eine Mischung aus traditionellem und zeitgenössischem, aus etablierten und neuen Formen, inspiriert mich.